Industrielandschaft
Westsächsische Industriegeschichte im Spiegel der Kunst
Dietulf Dr. Sander, Horst Sommer, Alexander Stoll
Wie kaum eine Epoche vorher hat die Industrialisierung die Menschheit so schnell und so radikal geprägt. Nicht nur
die Menschen, mithin der gesamte Lebensraum wurden umgeändert, überformt, neu geschaffen. Dies, so mag man
glauben, haben Menschen seit ihrer Entstehung immer getan, nicht nur sich dem Lebensraum, sondern den umgebenden
Lebensraum sich anzupassen – doch selten vorher mit dieser Intensität und in dieser Geschwindigkeit, denn
der Beginn der Industrialisierung ist kaum 250 Jahre her. Heute wird schon von der Postindustrialiserung gesprochen,
doch noch immer prägen Fabriken, das Synonym für Industrie schlechthin, unsere Städte, Dörfer und Landschaften.
Sachsen, besonders Westsachsen, das Erzgebirge eingeschlossen, gehört zu den ältesten und dichtesten industriegeprägten Landschaften in Europa. Beginnend mit dem mittelalterlichen Bergbau, die Ausprägung spezieller handwerklicher und manufakturbasierter Produktionszweige, den sich daran anschließenden Folgegewerben bis hin zur Industrialisierung wurde die Landschaft in vielfältiger Hinsicht beeinflusst, stark verändert, bisweilen sogar neu gestaltet.
Dieser Aspekt schlägt sich auch in der bildenden Kunst nieder. Die signifikanten Zeugnisse von Produktions- und
Industriestätten wurden in Malerei, Grafik und Zeichnung aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus zu einem
bildkünstlerischen Thema und Motiv. Halden, Fabriken, Schornsteine, technische Anlagen wie Talsperren, Pumpspeicherwerke, Brücken oder andere Verkehrsinfrastruktur oder die typischen „Industriedörfer“ boten den bildenden
Künstlern ein unkonventionelles und reizvolles Formenrepertoire im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit der regionalen
Landschaft. Dies konnte einerseits eher dokumentarischen Charakter haben, der auch vom Stolz der Eigentümer
und ihrer wirtschaftlichen Kraft und Bedeutung künden sollte. Andererseits schwangen auch schon immer kritische
Töne hinsichtlich einer unübersehbaren Landschafts- und Naturzerstörung mit.
Der Katalog entstand zur Sonderschau „Industrielandschaft“, die als Gemeinschaftsprojekt des Bergbaumuseums Oelsnitz/Erzgebirge und der Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst erarbeitete wurde. Er wendet sich erstmals mit einer umfangreichen Auswahl dieser Thematik zu. Der Katalog stellt mit seinen beiden Kapiteln mit Textbeiträgen und Abbildungsteilen zunächst das Gebiet Westsachsen in den Fokus, dem die Erzgebirgsregion folgt. Damit nimmt er die thematische Gliederung der Ausstellung auf, die im Bergbaumuseum Oelsnitz das erstere Gebiet, auf Schloss Schlettau das zweite zeigte.
Die vorgestellten Werke schlagen einen zeitlichen Bogen von der Mitte des 19. bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts. Anfangs orientierten die Arbeiten noch stark auf eine möglichst realistische Wiedergabe, wobei idealisierte
oder auch übertriebene Darstellungen durchaus üblich waren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts kamen immer mehr
individuelle künstlerische Handschriften hinzu. Das Thema wurde zunehmend aus ganz unterschiedlichen Perspektiven
heraus angegangen. Standen für die einen die gravierenden Veränderungen der Landschaft durch die sich ausbreitenden
Industrieanlagen im Vordergrund, näherten sich andere beispielsweise über die soziale Situation der Berg- und
Fabrikarbeiter an diesen Motivkreis an. Für eine Reihe von Künstlern wurden auch die gewaltigen Dimensionen und
Ausmaße der Fabriken und Industriekomplexe zum Bildgegenstand. Ebenso gingen von den speziellen Beleuchtungs- und
Lichterscheinungen Ansatzpunkte für die künstlerische Arbeit aus.
Unterschiedliche Künstlergenerationen, ein breites Spektrum an Stilen und künstlerischen Techniken ergeben ein vielfältiges
künstlerisches Bild westsächsischer Industriegeschichte. Ausstellung und Katalog laden dazu ein, dieser Vielfalt
nachzugehen.