Internationalismus der Dichter
Einblicke in Reiner Kunzes und Jan Skácels literarische Wechselbeziehungen. Mit einigen Bezügen zur Weltliteratur
Roman Kopřiva
Die Mährer, die eigentlich keine Nation sind, besäßen nach Jan Skácel die schönste Landeshymne der Welt. Dazu eine wortlose: „Denn die mährische Hymne ist die Stille. … Eine Schweigepause. Die Pause zwischen dem böhmischen Teil ,Wo ist meine Heimat‘ und dem slowakischen Teil ,Ob der Tatra blitzt es‘.“ – Auch wenn die Hymne wie das Land auseinanderfielen, die unversehrte mährische Stille bleibt weiterhin über alle Grenzziehungen hinaus unüberhörbar. So spricht sie auch aus Nachdichtungen Reiner Kunzes. Nicht ganz unähnlich der Stille von Trakl und Rilke, aber auch der von Goethe. Sie spricht so wunderbar, daß sie Peter Handke in Bewunderung zu versetzen wußte. So wunderbar, daß sie Philipp Jaccottet zu französischen Nachdichtungen, ausgehend von Kunzes deutschen, verführte.
Die vorliegende Studie führt an die Ursprünge von Skácels mährischem Sentiment, an die Verwurzelung
seiner Lyrik in den Tiefen von Sprache, Lied und Volksdichtung heran, umreißt aber auch seinen Platz
in der Dichtung der mitteleuropäischen Moderne. Und schließlich nachvollzieht Roman Kopriva in einem exemplarischen Segment den „Internationalismus der Dichter“ (R. Kunze), einen idealen dichtenden und nachdichtenden Dialog zwischen tschechischen und deutschen Lyrikern vor der Wende.