Isaak von Étoile
Monastische Theologie im Dialog mit dem Neo-Platonismus des 12. Jahrhunderts
Wolfgang G. Buchmüller OCist.
Isaak von Étoile (ca. 1110–1174/75) gilt als der „spekulativste Kopf seines Ordens“ (Kurt Ruh), zugleich aber auch als das „große Geheimnis von Cîteaux“ (Louis Bouyer). Isaak von Étoile war eine der profiliertesten Persönlichkeiten der Zisterziensermystik, die einen der Höhepunkte der abendländischen Spiritualitätsgeschichte darstellt. Zugleich kann der mutmaßliche Schüler Abaelards, Wilhelms von Conches und Gilberts de la Porrée auch als ein Exponent des Platonismus der sog. „Schule von Chartres“ gesehen werden. Diese philosophische Gruppierung steht für das Erwachen des kritischen Intellekts im Rahmen der sog. Renaissance des 12. Jh. anhand von Fragestellungen, die durch Platons Timaios aufgeworfen worden waren. Dabei wird aber keineswegs auf die Anwendung des Instrumentariums der aristotelischen Logik verzichtet. Wichtig ist bei Isaak von Étoile auch die Rezeption der negativen und mystischen Gotteslehre des Dionysius Areopagita. Anhand einer sorgfältigen Analyse seiner philosophischen und theologischen Schriften – De anima, De canone missae und nicht zuletzt des monumentalen Werks der Sermones – werden zentrale Themenkomplexe herausgearbeitet wie die Methodenlehre, die Bibelhermeneutik, die philosophische Gotteslehre, die Anthropologie, die Erbsünden- und Gnadenlehre und schließlich die Mystik, die die Seinsmystik Meister Eckharts in einigen Punkten vorwegzunehmen scheint. Isaaks Entwurf einer Metaphysik der Seele hatte im Rahmen der Scholastik noch einige Diskussionen zur Folge, insbesondere seine Lehre von der Identität der Seele mit ihren Fakultäten betreffend, die sich als eine philosophische Formulierung der Lehre von der Gottebenbildlichkeit verstand.