Jabberwock! Die Fahne schwingen!
Zwei Theatertexte für Kinder gegen den Krieg
Gerd Bedszent, Katrin Lange
Macius und Alice, zwei Kinder zwischen Frieden und Krieg.
Kriegerdenkmäler, Uniformshops, Kriegsspiele auf dem Computer, Bundeswehrwerber im Klassenzimmer – nachdrücklich wird der Krieg wieder gesellschaftsfähig gemacht. Die Kinder haben sich gefälligst daran zu gewöhnen. Und deshalb kann und darf und muss unsereiner bis zur Asche im Mund sagen, dass Krieg die Fortsetzung von gar nichts und keine Lösung, sondern nur Schweinerei und Scheiße, das Ende und der Tod ist.
1914 begann „Der Große Krieg der weißen Männer“ (Arnold Zweig), ein Vierteljahrhundert später, nach kurzer Atempause, seine noch blutigere, noch schrecklichere Fortsetzung. Mittendrin steckten die Großeltern-, die Ur-, die Ururgroßelterngenerationen der heute Lebenden. Ziemlich lange her – noch immer wissen wir um die Folgen. Und sehr gegenwärtig sind vernichtende Kriege in allen Teilen der Welt.
Die Waffen nieder! Nie wieder Krieg! Die alten Forderungen sind im wahren Sinn des Wortes BRANDaktuell – sie zu erfüllen, ist die Menschheitsaufgabe. Auch für die, die heute noch klein sind.
„König Macius I.“ ist eines der wichtigen Bücher für Kinder aus dem 20. Jahrhundert. Dr. Henryk Goldszmit (1879–1942) – Arzt, Pädagoge, Leiter eines Waisenhauses, der für seine Publikationen den Namen Janusz Korczak annahm – ging darin auf ganz besondere Art die großen Themen des Jahrhunderts an. Krieg und Frieden, Diktatur und Demokratie, Rassismus und Menschenrecht sind noch immer auch unsere Themen.
Sehr deutlich hat sich Korczak in diesem Text an den eigenen Front-Erfahrungen als Militärarzt im Ersten Weltkrieg abgearbeitet. Es ist kein Märchen-Krieg, sondern die moderne Menschenvernichtungsmaschinerie, die er beschreibt. Das allerdings in solchen Bildern, dass auch Kinder geistig und emotional dazwischen kommen können – nicht verzweifeln, nicht zu Boden gehen, sondern lernen, Krieg und Gewalt zu hassen, zu verachten. Und etwas dagegen zu tun.
Die Geschichte vom kleinen König steckt voller Abenteuer und auch voller Nonsens. Dabei verleugnet der Roman ganz offensichtlich die Herkunft aus unzähligen Gute-Nacht-Geschichten nicht.
Die epische Fülle und die an Assoziationen reiche, umherschweifende, verrückte Erzählweise ist eine Herausforderung für das Theater, besonders für das Kindertheater: die eigenen Zusammenhänge, die eigenen Bilder finden – und zugleich ganz dicht beim schöpferischen, humanistischen Geist des Romans bleiben…
Janusz Korczak ging 1942, obwohl er hätte davonkommen können, an der Seite seiner jüdischen Waisenkinder in Treblinka in die Gaskammer der deutschen Faschisten. Ehre seinem Andenken.
Charles Dodgson alias Lewis Caroll (1832–1898), Mathematiker und Fotograf, träumte sich aus der Welt der Rationalität und Berechenbarkeit hinaus – ins Wunderland, ins Reich hinterm Spiegel. Generationen von kleinen und großen Kindern hat er dorthin mitgenommen. Die ALICE-Erzählungen sind Weltliteratur – und an Nonsens und Unfug nach wie vor nicht zu überbieten.
Warum nur mögen Kinder diese Art von Blödelei so sehr? Den Nonsens als Nonsens zu identifizieren – ein reines Lustgefühl! Eben noch war reinweg alles unverständlich, die Erwachsenen-Welt, in die man sich tastend hinein bewegte, alles absurd, alles ohne Zusammenhang und Sinn! Jetzt aber ist man schon größer und sieht durch! Sieht mancherlei Sinn und kann diesen also sehr wohl von Unsinn unterscheiden. Und kann deshalb den Unsinn, den Nonsens, der dieses stolze Gefühl beschert, liebhaben.
Erwachsene mögen Nonsens aus dem gleichen Grund wie Kinder, sie dürfen bei der Gelegenheit Kind sein.
Und sich dem kleinen viktorianischen Mädchen Alice anverwandeln, das aus der Enge der bourgeoisen Welt und des sich grässlich dynamisch entwickelnden Kapitalismus radikal ausbricht. Ausbricht ins wunderbar spiegelnde Reich der schöpferischen Unlogik und der atemberaubenden Un-Nützlichkeit. Außerdem ist der Unsinn, der in den ALICE-Geschichten wabert, meist komisch, wer lacht nicht gern.
Meist komisch, nicht immer. Untiefen lauern, von existenzieller Art. Aus Alice fröhlichem Nonsens-Traum wird – übergangslos – mitunter ein Albtraum: Verzweiflung, Todesstrafe, Kindesmisshandlung, all das bricht über Alice und uns herein.
Und Krieg. Irgendwo im Hintergrund des Spiegelreichs toben Löwe und Einhorn und verwüsten, was ihnen begegnet. Da wird der Nonsens zur Herausforderung – und die brave Alice im Schürzenkleid springt in die Gegenwart, mitten hinein in die Lebensaufgaben sehr gegenwärtiger, sehr heutiger Kinder.
Unsere Alice im Stück singt. Singt, wenn sie Angst hat, singt, wenn sie sich freut – und singt mit anderen mit. Warum soll man Nonsens-Gedichte, von denen beide Bücher strotzen, nur aufsagen – warum soll man sie nicht auch singen? Vor allem dann, wenn man mit Gesang Frieden stiften kann? Frieden: Am Schluss wird die Torte in – verdammt noch mal! – gleich große Stücke geteilt!