Kammern der gewerblichen Wirtschaft im Dritten Reich
Allgemeine Entwicklungen und das Fallbeispiel Westfalen-Lippe
Ralf Stremmel
Die Geschichte von Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern im ‚Dritten Reich‘ ist bislang stark vernachlässigt worden, erlaubt jedoch einen tiefen Einblick in Funktionsmechanismen des NS-Staates. Indem sich die Kammern dem Primat der Politik unterordneten, konnten sie ihre Existenz sichern und schließlich zu einem unverzichtbaren Element des Herrschaftssystems werden. Ihr regionaler Gestaltungsspielraum blieb vergleichsweise groß, ob es sich um Stilllegungsaktionen handelte, die Preisüberwachung, die Verteilung öffentlicher Aufträge oder die ‚Arisierungen‘. Es gelang den Kammern darüber hinaus, sich zukunftsträchtige Aufgabenfelder anzueignen, beispielsweise in der Berufsausbildung. Auch andere Wandlungsprozesse in den Kammern hatten noch in der Nachkriegszeit strukturprägende Kraft: die Einbeziehung der Kleingewerbetreibenden oder der ‚große Befähigungsnachweis‘ im Handwerk. Das in dieser Studie erstmals kollektivbiographisch analysierte Führungspersonal der Kammern war Teil einer ökonomischen Funktionselite, die sich zwischen 1932 und 1948 mehrfach wandelte.