Keynes als Philosoph.
Elke Muchlinski
Über die Philosophie von John Maynard Keynes wird im angelsächsischen Sprachraum seit Jahren lebhaft diskutiert. Dabei gelten insbesondere die Philosophen Georg Edward Moore und Bertrand Russell als Vordenker. Es werden aber auch Analogien zu Aristoteles, Platon und Wittgenstein herausgearbeitet. Im Zentrum der aktuellen Auseinandersetzung stehen der Traktat über Wahrscheinlichkeitstheorie, den Keynes 1921 publiziert hat, sowie verschiedene Vorarbeiten (bislang unveröffentlichte Manuskripte) hierzu. Von Interesse ist, inwiefern diese Schriften einen Einfluß auf die Entwicklung der ökonomischen Theorie von Keynes haben. Da Keynes die Frage nur in einem Essay beantwortet hat, kann letztlich nur auf eine Rekonstruktion der Bedeutung der Wahrscheinlichkeitstheorie für die ökonomische Theorie verwiesen werden. Obwohl viele Beiträge Intuition und Erkenntnis ins Zentrum rücken, bleibt das Defizit der erkenntnistheoretischen Position von Keynes bestehen. Dies ist unbefriedigend, zumal Keynes in den bereits genannten Quellen zusammenhängend seine Erkenntnistheorie herausarbeitet.
Die vorliegende Untersuchung intendiert eine Rekonstruktion der epistemologischen Sichtweise von Keynes. Dabei ist der historische Hintergrund der Cambridge Tradition unzweifelhaft relevant für die Beurteilung der Philosophie von Keynes. Zu prüfen ist allerdings, ob Intuition die Funktion einer Letztbegründung zukommt, wie dies von der Mehrzahl der Autoren behauptet wird. Unter Rückgriff auf die Funktionszuschreibung der Anschauung im Prozeß der Erkenntnis bei Kant wird eine alternative Interpretation der Intuition bei Keynes vorgestellt. Das methodisch zu verstehende Vorgehen einer Argumentation ad analogia erlaubt die Loslösung von einseitigen rationalistischen, empiristischen und intuitionistischen Vereinnahmungen. Keineswegs wird Keynes dadurch zum Kantianer etikettiert. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist: Erkenntnis bei Keynes bedarf eines Verweisungszusammenhangs von Anschauung resp. Intuition und Begriff resp. Kategorie und basiert auf einer Synthese von rationalistischen und empirischen Urteilen. Die Konsequenz hieraus für eine Ökonomie, die auf Modellbildung nicht verzichten kann, ist evident: Ökonomische Modelle ohne Anwendungs- und damit Erfahrungsbezug sind leere Vernünfteleien und damit formaler Ästhetizismus.