Kinder, die Systeme sprengen
Band 1: Wenn Jugendliche und Erziehungshilfe anein ander scheitern
Menno Baumann
„Er hatte sich das Bein gebrochen und eines Tages stand er – wir haben da hinten einen Anbau mit einem Flachdach – und da stand er oben auf dem Dach. Und denn haben wir gesagt „komm runter“, ne, „wir stellen dir jetzt ne Leiter wieder ran und ich möchte, dass du hier wieder runter kommst, und denn ist er mit einem Doppelsalto mit dem gebrochenen Bein im Gips vom Dach gesprungen. So nach dem Motto: Ihr könnt mir gar nichts!'“ (Gruppenleiterin einer Kinder- und Jugendwohngruppe) „Das waren gleich mehrere. Hochkriminell – miteinander- und das hat alles gesprengt. Die ganze Einrichtung war da fast in die Luft geflogen. Mit Fassadenkletterei, mit also den doll’sten Sachen. Ja da ist es dann so, Polizei, Staatsanwaltschaft, raus. „((Gruppenleiter einer Verselbstständigungsgruppe in einer Großstadt)
In der Erziehungshilfe sind sie bekannt – und dennoch existieren sie weder in der Wissenschaft noch in den Statistiken ernsthaft: Kinder und Jugendliche, die durch keine pädagogische oder therapeutische Maßnahme erreichbar erscheinen. Und oft genug kommt das System der Erziehungshilfen an seine Grenzen und die Maßnahmen werden ohne Perspektive beendet – nach einer Odyssee durch das Hilfesystem, geprägt von Abbruchen, Orts- und Beziehungswechseln bleibt am Ende oft die Straße oder der Jugendstrafvollzug. Und der Ruf nach Härte, schärferen Sanktionen oder dem Wegschluss teilweise schon junger Kinder verhallt im medialen Blätterwald, ohne dass sich daraus pädagogische Alternativen zu bieten scheinen. Dieses Buch zeigt den Weg des breit angelegten Forschungsprojektes ,Systemsprenger in den Erziehungshilfen‘. In drei Untersuchungsschritten werden sowohl eine zahlenmäßige Erfassung des Problems als auch eine Annäherung an die Beziehungsdynamik zwischen Mitarbeitern der Erziehungshilfe und den Jugendlichen aufgezeigt. Anhand von Interviews mit Pädagogen aus der Jugendhilfe und der Aufarbeitung von 22 Fallgeschichten wird der subjektive Sinn, der dem Verhalten dieser Jugendlichen in ihren ,Sprengungsversuchen‘ zu Grunde liegt, verdeutlicht und Perspektiven für die Kommunikation mit ihnen aufgezeigt.