Konvention und Konventionsbruch
Wechselwirkungen deutscher und französischer Dramatik- 17.-20. Jahrhundert
Horst Turk, Jean-Marie Valentin
Ausgehend von der klassischen Opposition in der deutsch-französischen Literaturkritik, daß die französische Literatur und Kultur stärker durch das Moment der Konvention, die deutsche Literatur und Kultur stärker durch den Anspruch auf Originalität geprägt sei, sollte die Wechselwirkung beider Ansätze schwerpunktmäßig im Bereich theatralischer und sozialer Konventionen untersucht werden. Das Ergebnis besteht, wie nicht anders zu erwarten, in der Präzisierung und Revision eines gängigen Vorurteils. Die Zuschreibung bestimmter Faktoren des literarischen Lebens nach dem Schema etablierter Nationalcharaktere und -literaturen ist teils historisch zu erklären und behält damit eine gewisse Berechtigung. Teils wurde und wird die Wechselzuschreibung fragwürdig vor dem Hintergrund des gesamteuropäischen Rahmens mit der phasenversetzt genutzten Möglichkeit, das jeweils Fremde im Eigenen überbietend zu aktualisieren. Während bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Spannungsverhältnis zwischen französischer Konventionalitätsvorgabe und deutschem Originalitätsanspruch im ganzen unverändert gilt, bahnt sich mit dem Konventionsbruch des symbolistischen Theaters, durch Wagner vorbereitet, eine Umkehrung des Verhältnisses an. Dies hat den Effekt, daß die französische Literatur durch eine radikale Infragestellung der Konventionalität wie der Originalität erneut für die deutsche Literatur führend wird. Die Beiträge von H. Göbel, R. Heitz, H. Turk, B. Reifenberg und J. Benay behandeln die erste Entwicklungsphase in Einzelaspekten; die Beiträge von P. Langemeyer, O. Lorenz, B. Banoun, M. Silhouette, W. Huntemann, J.-M. Winkler und – zum Teil – J.-M. Valentin widmen sich der zweiten Phase.