Kooperation und Geheimnisschutz bei Beweisschwierigkeiten im Zivilprozess
Möglichkeiten der geschützten Verwertung von Unternehmensgeheimnissen im Spannungsfeld von rechtlichem Gehör, effektivem Rechtsschutz und prozessualen Kooperationspflichten
Jürgen C. T. Rassi
Das österreichische Zivilprozessrecht normiert eine allgemeine prozessuale Kooperationspflicht, die nicht auf die Verteilung der Beweislast Rücksicht nimmt. Diese Pflicht wird gerade dann schlagend, wenn sich die beweisbelastete Partei in Behauptungs- oder Beweisnot befindet, die primär durch die Aufklärung oder Mitwirkung ihres Gegners beendet werden kann.
Neben der dogmatischen Klärung strittiger oder offener Fragen zu prozessualen Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten stehen die Ausnahmen und Grenzen der Kooperationspflicht aus der Sicht des Schutzes von Unternehmensgeheimnissen im Mittelpunkt der Arbeit. Auch die ZPO anerkennt Ausnahmen vom Grundsatz der Wahrheitsermittlung. Der verfassungs- und grundrechtliche Schutz eines Unternehmensgeheimnisses zwingt den Gesetzgeber zu den entsprechenden Regeln. Das Konzept ist freilich lückenhaft, weil es sich nur auf Teile des Beweisverfahrens bezieht und die prozessuale Aufklärung zum wechselseitigen Vorbringen nicht berücksichtigt. Zudem sind viele Normen stark von einer standardisierten gesetzlichen Interessensabwägung geprägt, die es der nicht beweisbelasteten Partei im Regelfall ermöglicht, ihre Mitwirkung bereits dann zu verweigern, wenn sie Trägerin eines Unternehmensgeheimnisses ist.
In der Arbeit wird eine allgemeine Theorie für das österreichische Zivilprozessrecht entwickelt, mit Hilfe derer die Spannungen zwischen dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung durch parteiliche Kooperationspflichten und dem Schutz von Unternehmensgeheimnissen unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen grundrechtlichen Vorgaben aufgelöst werden können.