Märchen als Roman
Inszenierung und Fortschreibung von Märchen und Sagen bei Günter Grass
Katrin Wellnitz
Bei Günter Grass erhalten Märchen und Sagen einen neuen Resonanzraum und entfalten ihr erzählerisches Potenzial an der Geschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts.
In den Romanen von Günter Grass erhalten die Gattungen Märchen und Sage eine neue erzählerische Sprengkraft. Grass konfrontiert darin den zeitlosen Raum des Märchens und den historischen Raum der Sage mit der Zeitgeschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts: Vor der Folie von Zweitem Weltkrieg, Nachkriegszeit und Waldsterben spielen sich hier alte Geschichten – gesammelt etwa von den Brüdern Grimm – neu ab und werden damit lebendig gehalten. Grass führt dabei vor, dass das Historische eine bewegliche Größe ist und dass Erinnerungsarbeit kein staubiger Prozess sein sollte. Seine so kreativen wie philologisch fundierten Märchen- und Sagenspiele ufern in Gattungstransfers und intermedialen Inszenierungen aus und unterstreichen damit einmal mehr die unermüdliche künstlerische Vielseitigkeit des Autors.
Wellnitz würdigt in ihrer Studie den Märchen- und Sagenerzähler Grass und zeigt, wie dieser in der Erinnerung an historische und politische Ereignisse den kreativen Spielraum von Märchen und Sagen erweitert. Sie präsentiert mit Blick auf bekannte und unbekannte erzählte Geschichten einen bisher wenig beachteten Teil der Grass`schen Erzählwelt.