Meine armen Lieblinge
Altes Ego adieu
Birgit Kempker
‚In diesem Buch sind viel zu viele schwierige Gefühle und Ängste. Es sind auch zu viele schwierige Sätze in diesem Buch zu lesen und zu viele Wörter sind grob in diesem Buch und vieles verstehe ich einfach nicht. Manchmal fühle ich mich getröstet oder zärtlich berührt, öfters aber an der Nase herum geführt, müde, ratlos und wütend, wie bestellt und nicht abgeholt. Dann stehe ich naß und kalt im Regen, ist das gut?‘
Männer sprechen über ihre Frauen, Frauen sprechen über ihre Männer, Birgit Kempker schreibt über die Rituale, mit denen dieses Sprechen einhergeht. Die Wunden, die hergezeigt werden, sind so groß wie die, die man zufügt, und die Ehrlichkeit der Rede hält sich mit taktischer Intelligenz die Waage.
Aber natürlich schreibt Birgit Kempker keine clevere Betroffenheitsprosa; psychologische Befunde sind nur eines von mehreren Spielelementen ihres äußerst reflektierten, wachen und offenen Schreibens. Sie wechselt nicht nur die Jargons in atemberaubendem Tempo, sondern auch die Perspektiven von Mann und Frau (‚Ich bin komplexer als mein Ruf‘, sagt der Mann in einer Erzählung einmal), und der Schauplatz des Schreibgeschehens heißt immer: Sexualität. Ob Liebeswahn oder Eifersucht, Demütigung oder Triumph – in allen Geschichten halluziniert sich der Text an die Angesprochenen heran, und die heißen entweder ‚mein Mann‘, ‚meine Frau‘, ‚meine Freundin‘ oder ‚meine Mutter‘.
Mit einer ‚ungemein raffinierten Mischung aus Souveränität und Unbefangenheit‘ (Petra Nachbaur) trifft Birgit Kempker die Wirklichkeit unserer sexuellen Verhältnisse ins Herz. Ob sie anständig spricht oder unanständig, ob sie assoziiert oder konstruiert, ob sie beim Ich ansetzt oder im dichten Geflecht der Beziehungen – was uns aufeinander zutreibt und wieder voneinander weg, ist so lust- wie qualvoll. Fun allein gibts nicht. Und für das Sprechen darüber gilt das gleiche: Literatur allein gibts (bei Birgit Kempker) auch nicht.