Melancholie im Werk Goethes
Genese - Symptomatik - Therapie
Thorsten Valk
Die Melancholie hat in nahezu allen Epochen der europäischen Kulturgeschichte ein besonderes Interesse erfahren – unabhängig davon, ob sie als psychophysische Erkrankung, als dauerhafte Charakteranlage oder als transitorische Seelenstimmung betrachtet wurde. Auch Goethe setzt sich in seinem literarischen Werk intensiv mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Melancholie auseinander. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie konsequent er auf antike, mittelalterliche und zeitgenössische Melancholiekonzepte zurückgreift, wie exakt er die Protagonisten seiner Dichtungen nach diesen Mustern modelliert und wie umfassend er über die Möglichkeiten einer „melancholiefreien“ Existenz nachdenkt. Die vorliegende Studie untersucht Goethes Romane von den »Leiden des jungen Werther« über »Wilhelm Meisters Lehrjahre« bis zu den »Wahlverwandtschaften«; das Singspiel »Lila« sowie die Dramen »Torquato Tasso« und »Faust« vervollständigen das Spektrum. Alle Dichtungen werden im Horizont ihrer jeweils spezifischen Melancholie-Thematik analysiert und einer ebenso differenzierten wie weitausgreifenden Gesamtinterpretation unterzogen. Goethes literarisches Schaffen rückt erstmals in einen psychologischen, philosophischen und medizinischen Problemzusammenhang, der für das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert von fundamentaler Bedeutung ist.