Monument für Beethoven
Die Entwicklung der Beethoven-Rezeption Robert Schumanns
Bodo Bischoff
Die Beethoven-Rezeption Robert Schumanns kann in der Vielfalt ihrer unterschiedlichen „Rezeptionskanäle“ als paradigmatischer Modellfall gelten. Abgesehen von zahllosen Konzertbesuchen (ab 1828) und Hauskonzerten, in denen Schumann Beethovensche Musik hört und auf selber aufführt, eignet er sich in jungen Jahren (ab 1827/28) Sinfonien im Spiel zu vier Händen an, spielt selbst Beethovensche Kammermusik (ab 1828/29), betreibt Kompositions- und Instrumentationsstudien, indem er Auszüge von Sinfonien und der Leonorenouvertüre Nr. 3 anfertigt (ca. 1833). Er lernt die späten Streichquartette in häuslichen Proben und öffentlichen Konzerten des David-Quartetts kennen (1836-38) und betreibt später mit seiner Gattin Clara Partiturspiel und -studium von Ouvertüren und Sinfonien (1841). Neben der intensiven Beschäftigung mit dem kompositorischen Werk erschließt er sich durch Lektüre der jeweils aktuellen Beethoven-Biographien sowie biographischer Schriften und Artikel auch die Lebensgeschichte des großen Vorbildes. Die Abfolge dieses Prozesses kann anhand von Tagebüchern, Briefen und anderen autographen Schriften chronologisch und anhand der zum großen Teil erhaltenen Handexemplare aus Schumanns Musikbibliothek inhaltlich rekonstruiert werden. So ist es möglich, die Ausstrahlung der verschiedenen, von ihm gelesenen Bücher und Artikel in seinen eigenen Schriften und Beiträgen für Musikzeitungen etwa durch übernommene Zitate und Adaptionen nachzuweisen. Als Musikschriftsteller, Herausgeber und Redakteur der Neuen Zeitung für Musik nimmt er von 1834-1844 kämpferisch Einfluß auf das kulturelle Leben in deutschen Landen und bestimmt maßgeblich die ästhetische Auseinandersetzung um Werk und Wirken Beethovens. So wird er nicht müde, besonders auf die herausragende Bedeutung des Spätwerkes und – was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus eine Seltenheit darstellt – vor allem der späten Streichquartette hinzuweisen, die er als Gipfel des in der Kunst Denkbaren ansieht. In Dresden (ab 1847) und Düsseldorf (1850-1853) schließlich führt er als Chor- und Orchesterleiter Beethovensche Werke öffentlich auf und fügt somit der facettenreichen Palette seiner Bemühungen um Beethoven und sein Œuvre die letzte noch fehlende, die der Interpretation des Dirigenten hinzu.
Der Lebensweg Schumanns und sein Werdegang als Komponist ab 1828 läßt sich beschreiben als ein beständiges Kreisen auf immer neuen, sich progressiv entwickelnden Bahnen um Werk und – im weitesten Sinne des Wortes – um die Gestalt Beethovens. Seine Beethoven-Rezeption führt vom Stadium einer jugendlich enthusiastischen, eher emotional eingefärbten Verehrung, dem passiven Ergriffen-Werden, über die intensive Auseinandersetzung und das Studium der Werke zum aktiven Begreifen und Verstehen, zum Denken in Musik. Sie läßt sich formelhaft als ein Prozeß fortschreitender Objektivierung charakterisieren.
Grundlegend für die Erforschung der Beethoven-Rezeption Schumanns ist im Anhang der Arbeit eine 55 Seiten umfassende Zeittafel zusammengestellt, in der aus mehr als 30 meist autographen Quellen sämtliche z. Z. belegbaren Begegnungen Schumanns mit Werken Beethovens von seiner frühesten Jugend bis zum Jahr 1854 verzeichnet sind. In dieser einige hundert Nachweise enthaltenden Datenbank werden neben den Werkbezeichnungen und Anlässen jeweils dezidiert die Quellen angegeben, wodurch sie über die in diesem Buch behandelten Themen hinaus für weitergehende Fragestellungen zu einem nützlichen „Datensteinbruch“ wird.
Anhand von Modellanalysen mit jeweils spezifischer Fragestellung und Methodik wird der Frage nach der kompositorischen Umsetzung der Beethoven-Rezeption Schumanns in seinen Werken nachgegangen.