Ödön von Horváth: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke / Der jüngste Tag / Ein Dorf ohne Männer
Nicole Streitler, Martin Vejvar
Der vorliegende Band vereint zwei späte Stücke Horváths, das Schauspiel Der jüngste Tag und das Lustspiel Ein Dorf ohne Männer, beide 1937 erschienen und als Teile einer vom Autor geplanten Komödie des Menschen in sieben Teilen gedacht. In dem düsteren Schauspiel Der jüngste Tag verbindet der Autor volksstückhafte Elemente mit einer metaphysisch grundierten Schuld-Thematik, die eher an eine klassische Tragödie erinnert. Das Schuldigwerden erfasst hier epidemieartig nicht nur den Bahnhofsvorstand Hudetz und die Wirtstochter Anna, sondern allmählich die ganze Dorfgemeinschaft, die den vermeintlichen Mörder sucht. Zugleich liefert Horváth mithilfe eines dramatischen Tricks eine präzise Abbildung des menschlichen Gewissens und seiner Abgründe. Der Band stellt die Entstehungsgeschichte des Schauspiels Der jüngste Tag über eine Vorarbeit und vier Konzeptionen dar. Darin wird die Entwicklung des Stückes aus einer noch stark der biblischen Thematik verpflichteten Bildlichkeit hin zum für Horváth charakteristischen kleinbürgerlichen Milieu deutlich. In der kurz nach Der jüngste Tag entstandenen Komödie Ein Dorf ohne Männer dramatisiert Horváth den Roman Szelistye, das Dorf ohne Männer des ungarischen Romanciers Kálmán Mikszáth (1847–1910). Die Handlung spielt am Beginn der Renaissancezeit in Ungarn: Ein vom Bankrott bedrohter Graf versucht mittels eines nicht den Tatsachen entsprechenden „Musters“ schöner Frauen den ungarischen König Matthias Corvinus zu überzeugen, in dem durch Kriege von seinen Männern entvölkerten Dorf Selischtje verdiente Soldaten anzusiedeln. Der Band gliedert die Entstehung von Ein Dorf ohne Männer in insgesamt drei Konzeptionen, die Horváths wechselhafte Auseinandersetzung mit der Vorlage Mikszáths dokumentieren.