Paradeigmata.
Literarische Typologie des Alten Testaments. 1. Teil: Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert.
Franz Link
Die als »literarische Typologie des Alten Testaments« hier vorgelegten Untersuchungen gehen davon aus, daß Werke der schönen Literatur oder deren Motive in ähnlicher Weise als Antitypen zu den entsprechenden Typen des Alten Testaments betrachtet werden können wie die Antitypen des Neuen Testaments in der biblischen Exegese. Der Rückbezug auf das im Alten Testament vorgegebene Muster erlaubt es, die jeweils zeitgenössisch bedingte Eigenheit herauszuarbeiten. Wenn, wie in Thomas Manns »Joseph und seine Brüder«, das biblische Geschehen neu erzählt wird, vermag dessen Verständnis der alten Geschichte aus der Perspektive unserer Zeit neu erschlossen zu werden; Geschehen unserer Zeit wird durch den Bezug, in den es etwa in Joseph Roths »Hiob« zur biblischen Geschichte gesetzt wird, an dieser gemessen. Es geht in den hier vorgelegten Studien nicht darum, den vorgegebenen Text bis zur Sinnlosigkeit im Sinne dekonstruktivistischer Theorie zu befragen, sondern bescheidener und pragmatischer darum, die Wiederkehr der durch das Alte Testament begrenzten Anzahl von Grundmustern in der Literatur zu untersuchen. Neben anderen Quellen solcher Grundmuster – wie etwa den »Metamorphosen« Ovids – genießt das Alte Testament die Besonderheit des ursprünglich angenommenen Offenbarungscharakters, der auch im säkularisierten Bereich als Autorität nachzuwirken vermochte. Methodisch knüpfen die Studien an die Forschungen zur literarischen Übertragung der exegetischen Typologie in die Literatur durch Auerbach, Schwietering, Ohly u.a. an, bedienen sich aber eines in der neueren Forschung gebräuchlich werdenden, der obigen Beschreibung entsprechenden Typologiebegriffs. Dabei werden unterschiedliche Ansätze gefunden, wenn z.B. Alois Wolf nachweist, wie das Prinzip des typologischen Verweisens in der mittelalterlichen Literatur von der Bibel auf andere Stoffbereiche übertragen wird, wenn Ruprecht Wimmer auf die Schwierigkeit der Überführung der typologischen Darstellung in die rationalistische Konstruktion abhebt, Hans-Werner Ludwig für seine Interpretation von William Blake einen engeren Typologiebegriff in Abgrenzung zu den verschiedenen Tendenzen in der gegenwärtigen Forschung entwickelt oder Erich Kleinschmidt von einer »Poetik der Auflösung« bei seiner Betrachtung der Hiob-Mythe in der Literatur des 20. Jahrhunderts spricht. Nach der methodischen Einleitung unter dem Titel »Möglichkeiten einer literarischen Typologie des Alten Testaments« untersuchen 45 Beiträge an repräsentativen Beispielen der Weltliteratur solche Möglichkeiten. Dabei werden fast alle Bücher des Alten Testaments berührt und kommen alle Zeiten – vom 1. Jahrhundert nach Christus bis zur unmittelbaren Gegenwart zur Zeit des Abschlusses der Studien (1988) – und eine ausgewogene Breite der verschiedenen Literaturen zu Wort. Die altägyptische Literatur wird in einem Anhang als Präfiguration zur Sprache gebracht. Die Breite der Studien erlaubt eine Auswertung im abschließenden Kapitel unter dem Titel »Erträge einer literarischen Typologie des Alten Testaments«. Unter Hinzuziehung weiterer Materialien und im Rückgriff auf weitere Forschungen zu dem Gegenstand kommt hierbei die Behandlung der verschiedenen biblischen Muster zu einer vergleichenden Betrachtung, wird die Entwicklung von den Anfängen bis in unsere Gegenwart aufgezeigt und auf die unterschiedlichen Realisationen in den verschiedenen nationalen, konfessionellen oder anderen Bereichen verwiesen.