Politisches Denken im deutschen Widerstand.
Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte neokonservativer Ideologien 1914 - 1944.
Nicolai Hammersen
Eine Auseinandersetzung mit den politisch-historischen Wurzeln des deutschen Widerstandes wie auch seine geistesgeschichtliche Einordnung haben bislang noch nicht stattgefunden. Daß die Opposition gegen Hitler der neukonservativen Publizistik der Weimarer Republik nahegestanden und Ideen ihrer Kritiker fortgeführt hat, darauf ist hier und da hingewiesen worden. Die systematische Überprüfung legt eine deutliche Wesensverwandtschaft offen. Worin diese Verwandtschaft im einzelnen besteht, versucht die Untersuchung mit Blick auf den Fundus politischer Ordnungs- und Wertvorstellungen zu zeigen, aus dem die Widerstandskämpfer offensichtlich geschöpft haben. In der Nachfolge der »Ideen von 1914« richtet sich das Augenmerk dabei vor allem auf die Adepten des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. Die Quellen belegen eindrucksvoll die Anknüpfung des politischen Denkens in der nationalkonservativen Opposition an neokonservative Begriffe und Ideologien, in deren Genealogie man viele ihrer Mitglieder verzeichnen kann. Sie haben im großen und ganzen den »geistigkulturellen deutschen Sonderweg« (Nipperdey) nicht überwunden, sondern fortgesetzt.
Mit dem Versuch, den historischen Ort des deutschen Widerstandes in der (geistes-)geschichtlichen Kontinuität konservativen Denkens aufzuzeigen, wird das Verständnis seiner politischen Vorstellungswelt erst möglich und einer adäquaten Beurteilung unter Berücksichtigung der Zeitverhaftung politischen Denkens der Weg geebnet. Das Bedürfnis nach »kritischen Gutachten zur Geschichte« wird dabei nicht befriedigt. Es geht nicht darum, dem Widerstand Fortschrittlichkeit oder eine reaktionäre Einstehung bescheinigen zu wollen, sondern darum, der historischen Wirklichkeit gerecht zu werden, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies wird durch ein teilnehmendes Interesse gewährleistet, das sich dem Versuch versagt, mit dem erhobenen Zeigefinger des Nachgeborenen darüber zu rechten, welches die guten und welches die bösen, die richtigen und die falschen politischen Ideen sind. Der rückschauende Betrachter nimmt weder den Blickwinkel demokratischer Nachkriegswirklichkeit ein, noch setzt er die gegenwärtige politische Kultur anderen Zeiten und Menschen zum Maß. Er möchte vielmehr zeigen, wie es eigentlich gewesen, und nicht, was sich eigentlich hätte ereignen sollen.