Pro Lingua Latina 20
Frühjahr 2019
Pro Lingua Latina e.V.
Das Füllhorn, das cornu copiae, gefüllt mit Blumen oder Früchten, ist ein altes mythologisches Symbol für einen überfließenden Reichtum. Fruchtbarkeit, Freigebigkeit und Reichtum bis zum Überfluss sind garantiert. Zuerst soll damit die Ziege Amaltheia Zeus aufgezogen haben, doch verwendet wurde es auch von Gaia, der Erde, von Eirene, dem Frieden, von Tyche, dem Schicksal, und von Plutos, der kleinen Personifikation des Reichtums, der aber nur unter dem Schutz der Eirene zur vollen Wirkung kommen konnte. In der römischen Mythologie bediente sich Flora seiner im Frühling. Die Personifizierung der Pax zierte als Pax Augusti mit dem Füllhorn viele römische Münzen. Das Füllhorn
unseres Titelbilds wird von Plutos und Eirene gehalten. Die Originalstatue der Eirene und des Plutos schuf kurz nach 374 v. Chr. der athenische Künstler Kephisodot, der vermeintliche Vater von Praxiteles.
Wir haben dieses Motiv auf die Fülle der lateinischen Kultur übertragen. Von Rom und Merida über Aachen und Köln bis Münster und Kalkriese, von der Antike bis in die Neuzeit, von Stadtgründungen über Kirchenbauten bis zu Hoffnungen auf Freiheit und Frieden und jüngst gefundene augusteische Sil- bermünzen – vielseitig zeigt sich das Füllhorn unserer Jubiläumsausgabe. Die lateinische Sprache bietet den Schlüssel für ein Verständnis unserer vielseitigen Kultur. Beispiele: Die Grundlage zum Artikel über die Li- bertas-Vorstellung bei Livius legte Lara Nowak als Schülerin im Certamen Carolinum. Horaz‘ Hoffnung auf Octavian bzw. dem späteren Augustus mag unseren Lateinschülern unabhängig von ihren zentralen Autoren einen Einblick in die Hoffnungen der augusteischen Zeit nach dem Bürgerkrieg geben. Horaz spielt zwar in den zentralen Inhalten der Oberstufe kaum noch eine Rolle, bleibt aber ein faszinierender und höchst genialer Autor. Die Beschäftigung mit seiner zweiten Ode verschafft einen klaren Einblick in den Vorabend der Pax Augusta. Manche Städte dürfen ihre Gründung auf Augustus zurückführen. Ein beeindruckendes Beispiel bietet die Geschichte von Merida in der spanischen Extremadura, eine Stadt, die noch lange nicht fertig ausgegraben ist. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit der römischen Frauenstatue von Burtscheid, deren Ursprünge ebenfalls in der augusteischen Zeit liegen könnten. Sechs Chronogramme, gefunden im noch nicht untergegangenen Historischen Archiv der Stadt Köln im Bestand Wallraf, führen ins Jahr 1819 und zu den Ursprüngen eines neuen Domkrans für den noch nicht fertiggestellten Kölner Dom. 2018 lud eine Exkursion nach Münster ein. Faszinierend war hier die Ausstellung „Eirene/Pax. Der Frieden in der Antike.“ Das Nachdenken und Ringen um den Frieden ist eine uralte Menschheitsaufgabe, die heute von größter Aktualität ist. Die Nachbildung der Eirene mit Plutos war in dieser Ausstellung ein faszinierender Blickfang und gab die Vorlage zum Titelbild der vorliegenden Ausgabe.