Rechtspsychologische Begutachtung delinquenter Heranwachsender Evidenzbasierte Entscheidungsalgorithmen zur strafrechtlichen Zuweisung gemäß § 105 JGG
Thomas P. Busch
Da Jugendliche und heranwachsende Straftäter sich durch vielfältige entwicklungsÂpsyÂchologische Besonderheiten auszeichnen, bedürfen sie bei der strafrechtlichen ZuÂweisung der besonderen Aufmerksamkeit der erkennenden Gerichte. Um den interindividuellen Variationen des adoleszenten Entwicklungsprozesses Rechnung zu tragen, verankerte der Gesetzgeber im §Â 105 JGG die Möglichkeit der Gleichstellung von heranwachsenden Straftätern zwischen 18 Jahren und 21 Jahren mit jugendlichen Straftätern unter 18 Jahren.
Die Beurteilung von Heranwachsenden gemäß § 105 JGG gehört zu den schwierigsten Herausforderungen für den im Bereich des Jugendrechts tätigen forensischen Sachverständigen. Seit dem Inkrafttreten des § 105 JGG im Jahre 1953 ist die Liste der Schwierigkeiten und Probleme lang. Kritiker des § 105 JGG sehen einerseits eine Lösung seiner Probleme in der generellen Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende, wobei sogar die Einbeziehung von Tätern bis 26 Jahren in das Jugendstrafrecht bedenkenswert sei. Andererseits werden immer wieder Stimmen laut, die eine generelle Anwendung des ErÂwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende fordern. Unabhängig von Altersgrenzen sind die Folgen einer fehlerhaften Beurteilung gravierend.
Es besteht somit die Notwendigkeit der Implementierung methodischer Standards für den Gutachtenprozess und die Entwicklung qualitativer Beurteilungskriterien. Der in dieser Arbeit vorgestellte diagnostische Prozess zur Begutachtung heranwachsender Straftäter gemäß § 105 JGG macht deutlich, dass eine regelgeleitete Begutachtung, die sowohl bezüglich der verwendeten Informationen als auch des diagnostischen Vorgehens nachvollziehbar und transparent ist, durchaus möglich ist. Grundlage hierfür bilden die Ergebnisse einer bundesweiten Expertenbefragung (Bonner Delphi-Studie) und einer sich daran anschließenden Validierungsstudie.