Reformpädagogische Schularchitektur in Württemberg und Bayerisch-Schwaben
Zur baulichen Manifestation erzieherischer Forderungen im Heimatstil
Andrea Richter
In der preisgekrönten Studie (Förderpreis des Bezirks Schwaben 2002) werden die gegenseitigen Beeinflussungen von Pädagogik und Architektur in der sozialen Umbruchzeit zwischen 1890 und 1930 in Württemberg und Bayerisch- Schwaben untersucht. Neben den unterschiedlichen Lebensreformbewegungen war aus den damaligen architekturhistorischen Strömungen wie Historismus, Arts-and-Crafts-Bewegung, Jugendstil, Gartenstadtbewegung, Volkshausgedanke, Werkbund und schließlich Heimatstil ein für die Reformpädagogik fruchtbarer Hintergrund erwachsen, auf dem sich allen voran die Ideen der Arbeitsschul- und der Kunsterziehungsbewegung baulich manifestieren konnten. Die die Arbeit dominierende Darstellung der gegenseitigen Beeinflussung von Reformpädagogik und Schularchitektur wird durch die untersuchten Biographien von Reformpädagogen und Architekten erhärtet. Unterstützt durch zahlreiche Abbildungen gelingt es, gemeinsame Stilelemente einer reformpädagogischen Schulbaukunst nachzuweisen und diese als räumlich-symbolische Manifestation pädagogischer Konzepte in einem anthropologischen Raumverständnis zu deuten. Im Heimatstil schlägt sich z.B. das pädagogisch motivierte Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung nieder, wenn das Schulhaus durch seine Fernwirkung schon von weitem auf das Betreten vorbereiten und nach freundlichem Empfang am Portal mit Hilfe architektonischer Stilmittel wie Lichteinfall, Treppenführung, Farbgestaltung und dekorativen Elementen durch das Gebäude leiten soll. „So legt die Reformpädagogik trotz des neuen, großzügigen Raumangebotes der Städte als Folge des geschärften Bildungsbewusstseins ihren Schwerpunkt nicht auf Repräsentation, sondern auf den gelebten Raum des Kindes“. Sowohl der interdisziplinäre Ansatz als auch die hermeneutische geschulte Interpretation des Datenmaterials zeichnen die Arbeit aus, die sich auf umfangreiche Quellenrecherchen (wie zeitgenössisches Archivmaterial, Festschriften, Chroniken, Standardwerke zu schulbheoretischen Themen) stützt und dezidierte Detailkenntnis und Detailarbeit verrät. Die zunächst allgemein dargestellte Entwicklung des Schulbaus der Reformpädagogik wird abschließend am Beispiel der Industriestadt Augsburg konkretisiert und in einen größeren geschichtlichen Kontext gestellt. Mit den aufgezeigten neuen Perspektiven leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur lokalen Wirkungsgeschichte der Reformpädagogik. Es gelingt, die auch in unseren Tagen spürbare Ausstrahlung von Schulgebäuden aus der Zeit der reformpädagogischen Bewegung und die beeindruckende Bauleistung dieser Epoche zu artikulieren und diese „Architektur vom Kinde aus“ im Blick auf ihre pädagogische, hygienische und bechnische Dimension als vorbildlich für Gegenwart und Zukunft einzustufen.