Reichskommissariat Niederlande
Versuch und Scheitern nationalsozialistischer Neuordnung
Konrad Kwiet
Deutsche Besetzung und nationalsozialistische Gewaltpolitik haben in den traditionell neutralen, seit über einem Jahrhundert von Fremdherrschaft verschonten Niederlanden mit ihrer verwurzelten demokratischen Ordnung und Toleranz einen außerordentlich schweren Schock ausgelöst. Konrad Kwiet, selbst einer deutsch-holländischen Familie entstammend, ist mit den Belastungen, die sich daraus für das deutsch-niederländische Verhältnis ergaben, von Hause aus vertraut und aufgrund seiner gründlichen Studien besonders qualifiziert. Seine konzentrierte Untersuchung will nicht die Gesamtgeschichte der Besatzungszeit erzählen, sondern vor allem die politische relevanten Merkmale und Veränderungen des unter militärischem Befehl begonnenen, aber schon im Mai 1940 der politischen Leitung des Reichskommissars Seys-Inquart unterstellten Besatzungsregimes aufzeigen. Im Vordergrund stehen dabei die widersprüchlichen Neuordnungs- und Herrschaftskonzeptionen der Anfangsjahre 1940/41, in denen sowohl die „großgermanische“ Reichspolitik wie der Versuch, die holländischen Faschisten der Mussert-Bewegung in den Sattel zu heben, an eigener Unzulänglichkeit oder holländischem Widerstand scheiterten und die ultima ratio der Gewalt das Feld zu beherrschen begann. Die NS-Politik in den Niederlanden wird dabei als Teil der allgemeinen europäischen Hegemonialpolitik Hitlers betrachtet und auch mit den vielfach anders gelagerten Verhältnissen in Belgien verglichen. Es gelingt dem Verfasser, am Beispiel Hollands einsichtig zu machen, dass der Totalitarismus nationalsozialistischer Herrschaft und das sich unter ihr ausbreitende Rechtsvakuum weniger in planvoller und monopolitischer Diktatur als vielmehr in der permanenten Improvisation und dem Antagonismus rivalisierender Machtgruppen und Machtkonzepte wurzelte, die eine fortgesetzte Eskalation der Gewaltsamkeit in Gang setzten.