RISS+ »Trans«
Jacques Lacan: Michel H. – Eine Krankenvorstellung
Marcus Coelen, Judith Kasper, Aaron Lahl, Karl-Josef Pazzini, Mai Wegener, Alexandre Wullschleger
In diesem Band stellen wir ein historisches Dokument bereit, durchwelches wir eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand derTranssexualität /des Transsexualismus vor dem Hintergrund der Theorie und des Schaffens Jacques Lacans anregen möchten. Seit den 1970er Jahren in Frankreich und in den darauffolgenden Dekaden auch in amerikanischen Ländern wie Argentinien, Brasilien oder den USA hat eine solche Auseinandersetzung einen beachtlichen Literaturkorpus hervorgebracht, der in Deutschland bislang kaum rezipiert wurde. In der 91. Ausgabe der Zeitschrift RISS, die parallel zu diesem Band erscheint und den Titel Trans trägt, stellen wir unter anderem einige Arbeiten aus diesem Feld vor.
Die vorliegende Fallvorstellung fand am 21. Februar 1976 im Pariser Sainte-Anne-Krankenhaus statt. Anwesend dabei war ein psychoanalytisch-psychiatrisches Fachpublikum, in dem sich auch viele der Lehranalysant*innen Lacans befanden. Lacan, der das Gespräch mit Michel H. auf Anfrage seines Kollegen Marcel Czermak führte, ist zu diesem Zeitpunkt 74 Jahre und Michel mit 22 Jahren in etwa so alt wie der psychiatrische Begriff der Transsexualität. Das Gespräch trug sich in einer Zeit zu, in der sich Annette Runte zufolge um den Begriff der Transsexualität eine »Diskursexplosion« ereignete. Sowohl die psychiatrische als auch die autobiografische Trans-Literatur vermehrten sich und regten sich gegenseitig an. In Deutschland berichtete etwa der Spiegel wiederholt über die operativen Geschlechtsangleichungen durch den marokkanischen Arzt Georges Burou, in die auch Michel seine Hoffnung legte. Transsexualität ist in diesen Jahren bereits ein mediales, aber nur in beschränktem Maße ein explizit politisch diskutiertes Thema. Rechtliche Reformen ließen in Frankreich noch länger auf sich warten als in Deutschland.