Schatzhaus Spendhaus
Der Holzschnitt im 20. und 21. Jahrhundert
Franziska Boegehold, Herbert Eichhorn, Ralf Gottschlich, Martina Köser-Rudolph, Kathrin Schneider, Claudia Schönjahn
Vor zwanzig Jahren wurde im altehrwürdigen Reutlinger Spendhaus das Städtische Kunstmuseum eröffnet. Seither widmet sich das Museum dem Hochdruck der Moderne.
Dieses spezifische Profil hat historische Ursachen; waren es doch zwei Holzschneider, die unter den Reutlinger Künstlern des vergangenen Jahrhunderts besonders herausragen und deren Werke den Kern der Sammlung bilden: Wilhelm Laage (1868-1930) und vor allem HAP Grieshaber (1909-1981) trugen ganz wesentlich dazu bei, den Holzschnitt zu einem genuinen Medium der modernen Kunst zu machen und seine Ausdrucksmöglichkeiten in vielfältiger Weise zu erweitern.
Mittlerweile hat sich das Kunstmuseum zum maßgeblichen Haus für den modernen Holzschnitt entwickelt. In zwei Jahrzehnten wurden in einer eindrucksvollen Reihe von Ausstellungen wichtige historische und zeitgenössische künstlerische Positionen vorgestellt. Durch kontinuierliche Neuerwerbungen, aber auch durch großzügige Schenkungen konnte eine einzigartige Sammlung von mittlerweile rund 15.000 Einzelblättern zum Thema Hochdruck aufgebaut werden.
Zum Jubiläum präsentiert das Kunstmuseum nun ausgewählte Höhepunkte aus seiner Hochdruck-Sammlung und gibt so gleichzeitig einen Überblick über die Entwicklung des traditionsreichen Mediums im 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert.
Den Auftakt der Ausstellung bilden exemplarische Arbeiten jener Künstler, die den Holzschnitt kurz vor 1900 für die Kunst der Moderne gewissermaßen wiederentdeckten, so Edvard Munch, Félix Vallotton oder Paul Gauguin. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts wurde der Holzschnitt für die Expressionisten, allen voran für die Mitglieder der Dresdener „Brücke“ – die Ausstellung zeigt unter anderem Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff –, zum favorisierten Medium. Zwischen den beiden Kriegen erlebte Deutschland dann einen regelrechten Grafikboom und der Holzschnitt galt als das druckgrafische Medium der Moderne schlechthin. Nach dem Zweiten Weltkrieg druckte HAP Grieshaber Holzschnitte in bisher nicht gekannten Formaten und positionierte so die älteste druckgrafische Technik überhaupt gleichberechtigt neben der Malerei.
Eine wahre Renaissance des Hochdrucks und eine breite Rückbesinnung auf seine spezifischen Ausdrucksqualitäten brachten schließlich die achtziger Jahre. Die Vertreter der „Neuen Figuration“ – in der Ausstellung vertreten mit Arbeiten etwa von Georg Baselitz und Jörg Immendorff – knüpften ganz bewusst an die große Tradition des expressionistischen Holzschnitts an. Gleichzeitig nutzten andere Künstler wie etwa Jürgen Partenheimer oder Norbert Prangenberg das Medium für zeichenhafte, oft eher verinnerlicht-subjektive Notierungen. Für ein Jahrzehnt wurden Holz- und Linolschnitt – neben der heftigen Malerei – geradezu zum Leitmedium.
Aber auch im neuen Jahrtausend bleibt die alte Technik für die Künstler attraktiv. Dabei werden im Zuge einer gewissen „Transmedialität“ häufig Bilder und Bildstrategien aus den schnellen populären Medien der Gegenwart auf das entschleunigte Medium Holzschnitt übertragen. Für diese aktuellen Tendenzen stehen in der Ausstellung etwa Werke von Christiane Baumgartner, Daniel Richter oder auch Gert und Uwe Tobias.