Schreiben als Therapie
Die Selbstheilungsversuche des Yu Dafu nach dem Vorbild japanischer shishosetsu-Autoren
Alexander Saechtig
Sein Hang zur Selbstbespiegelung und die Vorliebe für das Porträtieren der dunklen Abgründe seiner Seele brachten dem Schriftsteller Yu Dafu (1896-1945) den Ruf des enfant terrible in der chinesischen Literaturszene der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ein. Ganz anders dagegen reagierte das Leserpublikum in Japan, das in den fragmentarischen Erzählungen des Yu, die allesamt durch eine den Autor verkörpernde Zentralfigur verbunden sind, die Form des der japanischen Literatur eigenen autobiographischen Genres shishosetsu abgebildet sah, dem bis heute eine therapeutische Funktion in Japan zugeschrieben wird. Der langjährige Studienaufenthalt des von seelischen Konflikten zerrissenen Yu Dafu in Japan, seine Kenntnis japanischer shishosetsu und persönliche Zusammenkünfte mit bekannten shishosetsu-Autoren wie Shiga Naoya oder Oda Takeo geben ebenso Anlass, einen Zusammenhang zwischen dem japanischen Genre und den Erzählungen des Yu zu sehen, wie auch die besondere Betrachtungsweise japanischer Sinologen, die Yu Dafus Erzählprosa mit denselben Mechanismen rezipieren und nach gleichen Kriterien würdigen wie einen japanischen shishosetsu.
Die Studie verfolgt das Ziel, mittels einer narratologischen Analyse die gattungsspezifischen Merkmale des shishosetsu in der frühen Erzählprosa Yu Dafus nachzuweisen. Verschiedene Selbstzeugnisse des Yu, die auf die Überwindung einer seelischen Krise als Motivation zum Schreiben hindeuten, werfen gleichzeitig ein Licht auf die Frage nach den inneren Beweggründen des jungen Schriftstellers, in geradezu exhibitionistischer Art und Weise seine Seelenqual vor dem Leser zu enthüllen.