Schuldmotoren
Artistisches Erzählen in Günter Grass "Danziger Trilogie"
Klaus von Schilling
In einem frühen Interview hat Günter Grass betont, dass die Erzähler der Danziger Trilogie von „Schuldmotoren“ angetrieben würden: „Alle drei Ich-Erzähler in allen drei Büchern schreiben aus einer Schuld heraus: aus verdrängter Schuld, aus ironisierter Schuld, im Falle Materns aus pathetischem Schuldverlangen, einem Schuldbedürfnis heraus – das ist das erste Gemeinsame“. Solche Schuld geht nicht allein auf ein individuelles Schuldig-Geworden-Sein der Ich-Erzähler zurück, sondern die Kunst selbst ist nach dem Nationalsozialismus delegitimiert – am schärfsten hat dies Adorno in seinem Verdikt über die Lyrik nach Auschwitz formuliert – und verlangt nach neuer Rechtfertigung, jenseits des performativen Widerspruchs. Sie findet ein neues Selbstverständnis in der artistischen Dichtung, die jenes Scheitern, das die Wurzeln der Kunst berührt, zum Fundament ihrer Form erhebt; in der Selbstreflexion der Form könne, so die Unterstellung, die grundlegende Aporie aufgearbeitet werden. Im Doktor Faustus ist das erstmals versucht worden; mit ihm hat Thomas Mann einen Romantypus geschaffen, der in der Nachkriegsliteratur nachhaltig gewirkt hat. Sein vielleicht wichtigster Nachfolger ist Günter Grass, der das Muster aufgreift und fortentwickelt. Auch er stellt sich dem Prozess der Selbstreflexion und fragt mit dem größten Nachdruck nach den Bedingungen der Möglichkeit, die ein Erzählen heute gestatten. Dem geht die vorliegende Studie nach. Die drei Bücher der Danziger Trilogie werden unter diesem Aspekt ausführlich interpretiert; dabei steht nicht, wie in der Grassforschung üblich, die realistische Gestaltung im Vordergrund, sondern die artistische Reflexion, die den Schreibvorgang begleitet, bricht und zugleich trägt. Abschließend werden die Geschichte und der Typus des artistischen Romans in einer kurzen Skizze vorgestellt.