Segeln vor der Haustür
oder: Sieh, das Gute liegt so nah !
Jörg W Ziegenspeck
In diesem Buch wird über einen Sommertörn berichtet, bei dem es darum ging, die deutschen Küsten Mecklenburgs und Vorpommerns kennen zu lernen. Siebzig Tage nahmen sich Gisela und Jörg W. Ziegenspeck Zeit, um von der Lübecker Bucht über Stralsund die großen Inseln Rügen, Usedom und Wollin zu besuchen, wobei auch das „Festland“ nicht ausgespart wurde. Diese Reise war eine in ein – nach wie vor – „fernes Land“, zwar nicht mehr in dem Maße, wie es einst (1964) von den ZEIT-Redakteuren Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer erlebt wurde, die zwei Wochen auf Expedition durch Ostelbien gingen, den „spezifischen DDR-Geruch“ einatmeten und „eine gewisse Tristesse“ angesichts dieses „Freilichtmuseums deutscher Vergangenheit“ ausmachten und verspürten. Sie redeten damals mit SED-, VEB-, LPG- und FDJ- Funktionären – meist freilich an ihnen vorbei. Das Ehepaar reiste dagegen sehr entspannt, unbeschwert und heiter durch wunderschöne Seelandschaften. Doch bei den Gesprächen hier und da merkte es auch, dass noch ein langer Prozess vonnöten sein wird, damit wirklich zusammenwächst, was zusammengehört (Willy Brandt 1989) und nachbarschaftliche Nähe entsteht. Gisela und Jörg W. Ziegenspeck gehören zu den Menschen, die vom alten Grundsatz, dass Reisen bildet, überzeugt sind. Und insofern war bisher jede ihrer Reisen eine „Bildungsreise“, bei der Land und Leute wichtig sind, historische Entwicklungen nachgezeichnet werden müssen, politische und soziale Veränderungen wahrgenommen werden und die kulturellen Leistungen beachtet werden wollen. Meist startete man mit „leerem Magen“, war also hungrig auf das, was zu erwartetn war, um am Ende gesättigt und zufrieden wieder zu Hause zu landen. Am Ende eines Törns schlich sich manchmal sogar das Gefühl der Überfütterung ein, viel zu viel war auf beide zugekommen, viel zu wenig konnte verarbeitet werden. Je mehr das Ehepaar in die jeweiligen Situationen einstieg, desto differenzierter wurden die Einsichten, die gewonnen werden konnten. Da half es wirklich sehr, tagebucähnliche Aufzeichnungen zu machen, um den „roten Faden“ der Reise inhaltlich im Blick zu behalten. Die Reiseberichte, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, mögen als Nachweis der Bemühungen gelten, die gewonnenen Erträge zu ordnen, zu systematisieren und zu bewerten. Nautische Berichte sind sie nur sehr am Rande. Nicht also das Logbuch gibt Auskunft über das, was beiden auf dem jeweiligen Törn begegnete und sie beschäftigte, es sind eher die Reiseberichte, die Auskunft über das geben, was Gisela und Jörg W. Ziegenspeck jeweils an Land bewegte. Fahrtensegeln ist also Balsam für Geist und Seele, guter Mörtel für partnerschaftliches Miteinander und Erfüllungsgehilfe für die Befriedigung ungestillter Sehnsüchte: Mehr nicht, aber auch nicht weniger! Und am Ende der reich illustrierten und gründlich aufgearbeiteten Berichte wird die Frage gestellt: „Gibt es was Schöneres als das Fahrtensegeln ?“ – Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Nein, für uns nicht !“ Die Interviews, die während des Törns entlang der deutschen Ostseeküste mit einer Pastorin, einem Bürgermeister und dessen Ehefrau und einem Ingenieur und Sozialwissenschaftler in Rerik, Kröslin und Lassan geführt wurden, wurden im fünften Buch separiert und gesondert publiziert. In diesen Bordgesprächen wird deutlich, wie sich Menschen vor und nach der politischen Wende selbst verstanden, wie sie ihre (Um-)Welt analysierten und in der jeweiligen Situation individuell, selbstbewusst, kritisch und zukunftsorientiert den eigenen Standort bestimmten. Die drei Gesprächspartner dürfen getrost als Zeugen ihrer jeweiligen Zeit in unserem nun wiedervereinigten Land gesehen werden, das – wenn auch sehr langsam – auf dem besten Wege ist, den gleichermaßen mühsamen wie notwendigen Integrationsprozess zu einem passablen Abschluss zu bringen.