Sprache als Musik?
Die Normierung des Sprechens und die Deklamationsbewegung um 1800
Martin Danneck
Dass gedruckte Literatur nicht in stummer Lektüre zu rezipieren sei, sondern erst im performativen Modus der lebendigen Rede ihr ästhetisches Potential voll entfalte, ist eine Überzeugung, die um 1800 vielfach geäußert wird. In der vorliegenden Studie wird die deutschsprachige Deklamationsbewegung erstmals umfassend untersucht und, eine praxeologische Perspektive einnehmend, in ihre sozialhistorischen und ästhetischen Kontexte eingebettet. ›Deklamation um 1800‹ bezeichnet eine im deutschsprachigen Raum florierende literarische Bewegung, die sich von etwa 1770 bis in die 1830er Jahre hinein großer Beliebtheit erfreut. Deklamation wird dabei zum Namen für eine besondere Form der Literaturperformance, bei der gedruckte Literatur nach bestimmten ästhetischen Prinzipien mündlich vor Publikum dargeboten wird. In stadtbürgerlichen Salons, in Lesegesellschaften oder aber als ›deklamatorisches Konzert‹ wird die ganze Bandbreite literarischer Gattungen deklamiert, vom Gedicht bis hin zu Prosatexten. Nicht zuletzt wird die Deklamationsbewegung ausgiebig publizistisch begleitet und es werden Versuche unternommen, die Deklamation als eine eigenständige Kunstform kunstästhetisch zu begründen. Die vorliegende Studie untersucht die Deklamationsbewegung insbesondere vor dem Hintergrund eines sich bildenden Bürgertums um 1800 und zeigt auf, dass das deklamierende Sprechen zu einem Vehikel bürgerlicher Identitätsbildung und zu einem Experimentierfeld zur Einübung von Sprechnormen wird.