Sprache, alte Dame
Gisela Zies
Die Berliner Lektorin Elina bewahrt in ihrer Wohnung ein altes Kinderspielzeug auf – einen Raben aus Pappmaché. Er ist der Erzähler. Was er erzählt, ist eigentlich banal: Keddy, wie er sich selbst nennt, der Sohn eines türkischen Taxifahrers, und Nora, die Tochter eines Dokumentarfilmers, sind ein Liebespaar. Durch Zufall stellt sich heraus, dass sie Halbgeschwister sind.
Einunddreißig locker zusammengehörige Prosa-Szenen – im Wechsel zwischen auktorialem Erzählen und Szenen auf Elinas imaginärer Wohnzimmerbühne mit Auftritten der Alten Dame Sprache. Kein Text für Leseratten, eher einer für bedächtige Baum-Hangler unter den Lesern, die vorsichtig im Gezweig Sprache nach Geistnahrung suchen, daran denken, dass Sprache eine alte Handwerkerin ist, die etwas herstellt, die unsere Gefühle und Vorstellungen formt, und für Leser, die sich fragen: Was ist mit der deutschen Sprache? Ist sie alt, krank, am Ende? Oder hat sie sich nur raupenhaft sattgefressen, verpuppt und ist gerade dabei, sich aufzulösen und neu zusammenzufinden, um beflügelt zu schlüpfen?