Sprache, Raum und Aufmerksamkeit
Eine kognitionswissenschaftliche Untersuchung zur Semantik räumlicher Lokations- und Distanzausdrücke
Kai-Uwe Carstensen
Die Semantik räumlicher Ausdrücke gehört zu den zentralen Untersuchungsfeldern kognitiv orientierter Linguistik. Mit der Kombinatorik von Distanz- und Lokationsausdrücken existiert allerdings ein Bereich sprachlicher Phänomene, der bislang wenig und vor allem nicht adäquat behandelt worden ist. Die vorliegende Arbeit nimmt diesen Phänomenbereich als Ausgangspunkt für eine interdisziplinär angelegte kognitionswissenschaftliche Untersuchung zur Semantik räumlicher Ausdrücke. Es wird gezeigt, daß bisherige Ansätze aus den beteiligten Disziplinen (u.a. Linguistik, Psychologie, Künstliche-Intelligenz-Forschung) für die Behandlung dieser Phänomene grundsätzlich nicht eingerichtet sind. Es wird dafür argumentiert, daß dies auf eine mangelnde Unterscheidung impliziter und expliziter räumlicher Relationen zurückzuführen ist, wobei explizite Relationen als aufmerksamkeitsbasierte Repräsentanten der sog. „Mikroperspektivierung“ räumlicher Repräsentationen rekonstruiert werden. Vor diesem Hintergrund wird unter Verwendung computerlinguistischer Methoden eine aufmerksamkeitsbasierte Semantik von räumlichen Präpositionen und Adjektiven sowie von Graduierungsausdrücken (vgl. z.B. mehr als 10 cm näher an) entwickelt, deren Erklärungsraum den genannten Phänomenbereich enthält. Die Untersuchung wirft so ein neues Licht auf die Schnittstelle zwischen sprachlichen und konzeptuellen Repräsentationen, die den Kern der lexikalischen Semantik darstellt.