Sprüche für jede Gelegenheit von Herbst,  Hans J, Reuter,  Fritz

Sprüche für jede Gelegenheit

Teil 1

Nichts Besseres weiß ich mir an den Winterabenden, wenn draußen der eisige Nordsturm heult, als beim lustig prasselnden Kaminfeuer und bei einer Pfeife Tabak Fritz Reuters „Strom- oder Franzosentid“, bekannte mir einst ein biederer Schulmann in einem Städtchen Westpreußens, und ich verstand den Mann, denn auch mir war in den langen Winterabenden Fritz Reuter der liebste Gesellschafter.

Je slichter dat mit dat Pird bestellt is, desto scharper möt de Spurn sin, un en rechten krähnschen jungen Hingst, de brust von sülwern dorhen, de brukt keinen Spurn. Dörchläuchting.

Nach einem Original der LB MV.

Nichts Besseres weiß ich mir an den Winterabenden, wenn draußen der eisige Nordsturm heult, als beim lustig prasselnden Kaminfeuer und bei einer Pfeife Tabak Fritz Reuters „Strom- oder Franzosentid“, bekannte mir einst ein biederer Schulmann in einem Städtchen Westpreußens, und ich verstand den Mann, denn auch mir war in den langen Winterabenden Fritz Reuter der liebste Gesellschafter. Und wie viele Tausende Deutscher im Vaterlande und in der Fremde werden dem guten Schulmeister beipflichten! Wieviel Lust und Lachen haben die Schriften Fritz Reuters verbreitet! Wie haben sie Herzen und Sinne überall erquickt und erfrischt! Eine unversiegbare Quelle echten Humors sprudelt in ihnen, und zugleich geben sie uns ein getreues Spiegelbild mecklenburgischer Volksart und werden in künftigen Zeiten, wenn die hochdeutsche Sprache zur Alleinherrschaft gelangt sein wird, als teure Urkunde der kraftvollen, naturwüchsigen, ursprünglichen, derben und doch so traulich behaglichen, innig gemütlichen, kindlich naiven norddeutschen Mundart geschätzt werden. Unser Fritz Reuter wurde am 7. November 1810 zu Stavenhagen in Mecklenburg-Strelitz geboren. Sein Vater, ein strenger, charaktervoller, rastlos tätiger, nüchterner Mann, war Bürgermeister der Stadt und betrieb neben seinem Amte eine sehr bedeutende Landwirtschaft. Seine Mutter war infolge einer schweren Krankheit gelähmt und kränkelte nun zeitlebens. Von ihr sagt der Dichter in der „Franzosentid“: „Ick heww sie nich anners kennt, as dat sei in ehre gauden Tiden up en Staul satt un neiht, so flitig, so flitig, as wiren ehr armen swacken Hän’n gesund, un dat sei in ehre slimmen Tiden tau Bedd lag un unner Weihdag’ in de Bäuker las’.“ Diese kranke Frau aber hatte einen beweglichen Geist und lebhafte Phantasie, und sicher hat der Sohn von ihr das goldene Gemüt und die „Lust zum Fabulieren“ geerbt. Sein Pate, „Onkel Herse“, der kindlich heitere, drollig launige Ratsherr von Stavenhagen, hat diese Lust weiter ausgebildet — sehr gegen den Willen des Vaters, der vor allem den Sohn zu einem festen Charakter erziehen wollte. Nachdem Fritz von verschiedenen Lehrerinnen und Lehrern zu Hause unterrichtet worden war, ward er auf das Gymnasium zu Friedland in Mecklenburg gebracht, wo er drei trostlose Jahre verlebt hat. In dieser Zeit starb seine Mutter. Achtzehn Jahre alt, kam er auf das Gymnasium zu Parchim, befand sich dort sehr wohl, machte in seinem 21. Jahre das Abiturientenexamen und ging nach Rostock, um auf der dortigen Hochschule nach dem Willen seines Vaters die Rechtswissenschaft zu studieren. Bereits nach dem ersten Semester verließ er Rostock und ging nach Jena, wo damals die „Allgemeine deutsche Burschenschaft“ in den „Germanen“ und den „Arminen“ in kräftigster Blüte stand. Tendenz der Burschenschaft war: „Vorbereitung zur Herbeiführung eines frei und gerecht geordneten und in Volkseinheit gesicherten Staatslebens mittelst sittlicher, wissenschaftlicher und körperlicher Ausbildung auf der Hochschule“, doch war leider auf der Versammlung zu Frankfurt der verhängnisvolle Zusatz gemacht worden: „Im Falle eines Aufstandes solle unter Umständen jeder Burschenschafter verpflichtet sein, selbst mit Gewalt den Verbindungszweck zu erstreben“, etc. Fritz Reuter, kerngesund an Leib und Seele, trat in die Verbindung der unternehmenden Germanen, und das sollte ihm zum Verderben ge-reichen, Nach dem sogenannten „Frankfurter Attentat“ vom 3. April 1833, wo ein Häuflein junger Schwärmer, darunter auch Studenten, die Haupt- und Constablerwache der Stadt stürmte, begann seitens der deutschen Regierungen eine wahnsinnige Demagogenhetze. Sämtliche Mitglieder der „Allgemeinen deutschen Burschenschaft“ wurden zu Mitschuldigen der Verschwörer gestempelt und — soweit man ihrer habhaft werden konnte, verhaftet, welches Los den gänzlich schuldlosen Fritz Reuter im Herbst 1833 in Berlin ereilte, als er auf der dortigen Universität seine Studien fortsetzen wollte. Ein volles Jahr ward er, ungeachtet wiederholter Auslieferungs-Gesuche der mecklenburgischen Regierung, in der Stadt- und Hausvoigtei zu Berlin in harter Untersuchungshaft festgehalten und endlich vom Königlichen Kammergericht wegen „Versuch des Hochverrats“ zum — — Tode verurteilt. Friedrich Wilhelm III. begna-digte ihn nebst vielen andern „Hochverrätern“, die wie er kein anderes Verbrechen be-gangen, als die deutschen Farben getragen und von einem einigen großen deutschen Va-terlande geträumt hatten, zu dreißig-jähriger Festungshaft, und alle Hebel, die sein Vater und auf sein Betreiben die mecklenburgische Regierung in Bewegung setzten, um ihn den Krallen der preußischen Justiz zu entreißen, blieben erfolglos. Gleich einem gemeinen Verbrecher ward er nun von einer preußischen Festung zur andern geschleppt, von Berlin nach Silberberg in Schlesien, von da nach Glogau, dann nach Mag-deburg, wo er mit seinen unglücklichen Leidensgefährten im Inquisi-toriat unter der Schreckensherrschaft des Gra-fen Hacke unsägliche Leiden erdulden mußte. (S. „Ut mine Festungstid!“) Aus der Hölle von Magdeburg ging’s wieder nach Berlin in die schauerliche Hausvoigtei, doch zum Glück nur für kurze Zeit; das ferne Graudenz an der Weichsel öffnet seine Kasematten den Un-glücklichen, und hier atmen sie endlich auf, denn hier führt ein menschenfreundlicher Kom-mandant das Regiment, der ihnen Luft und Sonne gönnt und in väterlicher Güte ein Auge zudrückt, wenn sie über-mütig die möglichst weit gezogenen Grenzen der ihnen freundlich gewährten Freiheit überschreiten. Unterdessen hatte sein Vater es an Bemühungen, ihn aus der Haft zu befreien, nicht fehlen lassen, und endlich sollte er Erfolg haben. Großherzog Paul Friedrich verwandte sich persönlich bei seinem Schwiegervater Friedrich Wilhelm III. von Preußen für sein gemißhandeltes Landeskind, und Fritz Reuter ward ihm ausgeliefert und wird nun von Graudenz nach der kleinen Festung Dömitz in Mecklenburg übergeführt. Die Leiden und Drangsale haben ein Ende; von dem Kommandanten von Bülow und dessen Familie wird der Gefangene wie ein Sohn des Hauses behandelt, und es fehlt ihm nun nichts mehr als die Freiheit. Auch diese sollte ihm nun endlich geschenkt werden. Im Jah-re 1840 starb König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. erläßt eine allgemeine Amnestie für die politischen „Verbrecher“. Nach sieben-jähriger Haft werden die unglücklichen, um den schönsten Teil ihres Lebens betrogenen Opfer brutaler Polizeiherrschaft aus den Gefängnissen entlassen; und sie dürfen nach Hause gehen. Fritz Reuter wandert nach Stavenhagen, er ist frei, allein die schicksalsschwere Frage: „Was nun beginnen?“ läßt keine wahre Freude in ihm aufkommen. Auch der Vater fragt sorgenvoll: „Fritz, was nun?“ „Ich will mich zum Maler ausbilden“, entscheidet er sich endlich. Der Vater erhebt entschiedenen Widerspruch; Fritz muß nach Heidelberg gehen, um das unterbrochene, ihm verhaßte Studium der Jurisprudenz wiederaufzunehmen. Der Versuch mißlingt; Reuter legt das Corpus juris für immer aus der Hand und kehrt in die Heimat zurück, um die Landwirtschaft zu erlernen — seine zehnjährige Stromzeit beginnt. Auf dem Gute Demzin, wo er als „Volontär“ die Landwirtschaft betreibt, lernt er die Predigertochter Luise Kunze kennen, welche in einem Pfarrhause in der Nachbarschaft als Erzieherin wirkt. Für sie ent-brennt sein Herz in Liebe, und länger, als Jakob um die schöne Rahel, wirbt er um sie. Die landwirtschaftliche Laufbahn erscheint ihm ziemlich aussichtslos, weil es ihm an Ver-mögen fehlt, ein eigenes Gut zu erwerben. Vierzig Jahre alt, geht er nach Treptow an der Tollense und wird Schulmeister. Für zwei gute Groschen die Stunde erteilt er den pom-merschen Jungen Unterricht im Zeichnen, Turnen, Schwimmen und in allem, was sie zu lernen wünschen. Nun sollte auch sein liebster Herzenswunsch in Erfüllung gehen: dank der fürsorglichen Vermittelung seines treuen Freundes, des Gutsbesitzers Fritz Peters zu Thalberg bei Treptow, dessen Haus ihm nach dem im Jahre 1845 erfolgten Tode seines Vaters oft ein gastliches Asyl geboten, ward die geliebte Luise Kunze sein Weib, die Irrfahrten hatten für immer ein Ende. Am eigenen traulichen Herde schreibt er nun unter den Augen der geliebten Frau in seinen Mußestunden „Läuschen und Ri-mels“, ohne zunächst an eine Veröffentlichung der schnurrigen Dinger durch den Druck zu denken. Der Beifall treuer Freunde ermunterte ihn zu fleißigem Weiterschaffen, und als er ein Bändchen beisammen hatte, sah er sich nach einem Verleger um, fand aber keinen und entschloß sich nach kurzem Bedenken, den ersten Band der „Läuschen und Rimels“ im Selbstverlage erscheinen zu lassen. Sein Freund Justizrat Schröder schoß das Geld dafür vor; eine Auflage von 1200 Exemplaren ward gedruckt und an die Buchhändler in Mecklenburg und Pommern versandt — gespannte Erwartung, und siehe da: es folgen rasch neue Bestellungen, innerhalb sechs Wochen ist die Auflage vergriffen, und die beiden glücklichen Menschen in der dürftigen Schulmeisterwohnung zu Treptow lachen und weinen vor Freude. Mit dem Erfolge wuchs dem Dichter der Mut: er schreibt seine erste größere epische Dichtung: „De Reis’ nah Belligen“, und findet bei seinen Landsleuten jubelnde Anerkennung. Nun wußte er, wozu er geschaffen war: zum Erzähler, zum Dichter, zum Humoristen. Er gibt den Lehrerberuf auf, verlegt seinen Wohnsitz von Treptow nach dem schön gelegenen Neubrandenburg in Mecklenburg und dichtet dort seine reifsten Wer-ke: „Kein Hüsung“, „Ut de Franzosentid“, „Hanne Nute“, „Ut mine Festungstid“, die ersten Bände der köstlichen „Stromtid“, den größten Teil der „Urgeschicht’ von Mecklenburg“ und kleinere Sachen, darunter einige Lustspiele und Possen. Inzwischen hatte er in dem jungen, tatkräftigen Hinstorff einen Verleger gefunden, der weder Mühe noch Kosten scheute, dem mecklenburgischen Humoristen auch jenseits der Grenzen seiner Heimat die verdiente Anerkennung zu schaffen. Es gelang; Kritiker mit den besten Namen priesen den plattdeutschen Dichter, das Publikum kaufte und las und lachte herzinnig, und Dichter und Verleger lachten auch, denn ihre Taschen füllten sich mit klingendem Golde — Fritz Reuters Werke erlebten eine Auflage nach der andern, er war der populärste Dichter Deutschlands. Im Jahre 1863 verlieh die Rostocker Universität dem berühmten Landsmanne das Doktor-Diplom, und. im Sommer desselben Jahres übersiedelten Herr Doktor Fritz Reuter und Frau Luise nach Eisenach im schönen Thüringerlande. Hier vollendete der nunmehr berühmte Dichter zunächst sein größtes und schönstes Werk „Ut mine Stromtid“, unternahm im Jahre 1864 mit seiner Frau eine Reise nach Konstantinopel und im Jahre darauf eine Fahrt in die Heimat, die sich zu ei-nem wahren Triumphzuge gestaltete. Bald darauf erschien der Roman „Dörchläuchting’’, und in der schönen Villa, welche der Dichter sich am Fuße der Wartburg erbaut, entstand sein letztes Werk: „De mecklenbörgschen Montecchi un Capuletti“ oder „De Reis’ nah Konstantinopel“, voll einzelner Schönheiten, doch mit den Meisterschöpfungen aus des Dichters Blütezeit nicht zu vergleichen. Es folgten nun Jahre wohlverdienter, glücklicher Ruhe, reich an Ehren, reich an Liebe seines dankbaren Volkes, aber auch reich an schmerzlichen Leiden, die selbst seine Riesennatur zu brechen vermochten. Am 12. Juli 1874 machte ein sanfter Tod dem Leben des Dichters ein Ende. Das ganze deutsche Volk in Palast und Hütte, in Stadt und Land trauerte um seinen geliebtesten Dichter, um den schlichten Mann mit dem goldtreuen, einfältigen Kinderherzen, um seinen unvergeßlichen, einzigen Fritz Reuter. Gustav Schalk.

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