Tagebücher: November 1929 bis September 1946
Band 1: November 1929 bis Januar 1936
Matthias Joseph Mehs, Franziska Wein, Günter Wein
Tagebücher sind Aufzeichnungen von Gesprächen, welche die Autoren in erster Linie mit sich selbst führen. Sie sind ein fester Bezugspunkt im Leben des Schreibenden und der Ort, an dem Erlebtes, Gelesenes, Gedachtes und Gefühltes festgehalten, reflektiert und hinterlegt wird. Im Unterschied zu Memoiren vermitteln sie dem späteren Leser einen unmittelbaren Zugang zu Ort und Zeit des Geschehens.
Der Verfasser der vorliegenden Tagebücher, Matthias Joseph Mehs (1893-1976), war ein akademisch geschulter, lokal- und kunstgeschichtlich engagierter Gastwirt und christlich-konservativer Politiker aus Wittlich in der Eifel. Seine politische Tätigkeit fällt in drei ereignisreiche Jahrzehnte deutscher Geschichte: Von 1929 bis 1933 war er Stadtverordneter in Wittlich und Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Stadtrat, er ließ sich in diesen Funktionen 1933 nicht von den Nationalsozialisten umgarnen und verhinderte durch geschicktes Taktieren, dass Hitler zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt ernannt wurde; nach 1945 gründete er die CDU in Stadt und Kreis Wittlich, von 1946 bis 1953 war er CDU-Stadtverordneter und ehrenamtlicher Bürgermeister in Wittlich, von 1949 bis 1953 vertrat er den Wahlkreis Prüm als CDU-Abgeordneter mit Direktmandat im 1. Deutschen Bundestag in Bonn. Nachdem er sich dezidiert gegen die Wiederbewaffnung ausgesprochen hatte, da sie, wie er glaubte, eine Wiedervereinigung Deutschlands auf lange Sicht verhindern würde, wurde er von der CDU nicht zur Wiederwahl nominiert. Von 1953 bis 1957 war er dann ehrenamtlich noch Erster Beigeordneter der Stadt Wittlich. Mehs führte – wenngleich er Privates und Persönliches durchaus vermerkte – kein intimes Journal, sondern ein politisches, das Ausdruck und Spiegel seiner intellektuellen und moralischen Statur ist.
Die Tagebücher von Matthias Joseph Mehs sind – denjenigen Victor Klemperers durchaus vergleichbar – über das individuelle Lebenszeugnis hinaus eine sehr aufschlussreiche Quelle für die allgemeine deutsche Geschichte. In seinen Aufzeichnungen zeigt sich Mehs als gläubiger, humanistisch gebildeter und belesener Mann, der aus der Bibel, den antiken Klassikern und Texten der Weltliteratur von Shakespeare über Schiller bis zu Dostojewskij virtuos zitiert und dieses klassisch-kosmopolitische Vokabular sowohl zur Beschreibung und Einordnung des Erlebten als auch zur Bestätigung der Richtigkeit der eigenen Ansichten einsetzt.
Auch werden Hintergründe und Motive seiner lebenslangen Passion für die Geschichte seiner Familie und seiner engeren Heimat Wittlich deutlich, welche neben seiner christlich-konservativen politischen Überzeugung ein wesentlicher Impuls seines kommunalpolitischen Engagements waren und seinem Volksbegriff eine eigene Prägung gegeben haben. Das (Wittlicher) Volk sah er in einzelnen Originalen der mittleren und unteren Schichten verkörpert, mit denen er sich gelegentlich gerne unterhielt und die er aus Anlass ihres Todes in gelungenen Miniaturen in seinem Tagebuch porträtierte. Dieses Volk verdiente es, in seiner Stadt klassisch-moderne Bau- und Kunstwerke zu haben und ästhetisch anspruchsvoll Volksfeste zu feiern – Mehs ist deren Spiritus rector gewesen.