Turm am Wasser
Die Linien des Lebens: Hölderlin und Charlotte Zimmer
Inge Ott
Wie schon in der Erzählung „Der Reiter und das Mädchen“ stellt Inge Ott in ihrem neuesten Werk ein Sück Lebens- und Literaturgeschichte vor den Leser hin. Hölderlins Lebensjahre in Tübingen – im Haus des Schreinermeisters Zimmer (1807-1843) – werden aus der Sicht der Tochter Lotte geschildert. Alt geworden, verarmt und vereinsamt, blickt Lotte Zimmer vor ihrem Auszug aus dem elterlichen Haus nocheinmal zurück auf die an diesem Ort verbrachte Zeit. Ihre Erinnerungen an „Hölderle“, die bedrückenden Sorgen um den eigenen Bruder, alle Hoffnungen und Enttäuschungen vertraut sie schreibend den Mauern des alten Turmes an, dessen Geborgenheit sie nun verlassen muß.
Wir ahnen die Bedeutung der Gegenwart Hölderlins für die schwäbische Handwerkerfamilie, aber auch, was das selbstverständliche Einfühlungsvermögen der „Loddl“, ihre scheue Zartheit und ihre Liebefähigkeit für den Dichter bedeutet haben mögen. Aufrecht, mit feiner menschlicher Herzensbildung tritt uns der Schreinermeister Zimmer entgegen. Lotte kann den Lebensweg des Bruders erst im rückblickenden Vergleich mit Hölderlins Schicksal im rechten Licht sehen. Beide waren ja im Leben zu „Abseitsstehenden“ geworden.