Über das Gedächtnis
Reden und Aufsätze
Siegfried Lenz
„Wie und wodurch handelt ein Schriftsteller? Indem er bloßstellt; indem er entdeckt, was Ideologien verschweigen. Aber auch das kann schriftstellerisches Handeln sein: die Realität so auszulegen, daß niemand sich unbetroffen fühlt, daß wir uns erfahren in unseren Möglichkeiten. Handeln heißt hier ebenfalls: Vorschläge für ein deutliches Leben zu machen, und zwar mit Hilfe sowohl der historischen Analyse als auch des Gegenentwurfs, der über eine enthüllte Gegenwart hinausweist: So war es, so ist es, so könnte es sein.“
Der große Erzähler Siegfried Lenz hat stets Stellung bezogen – natürlich zur Literatur, aber ebenso zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Seine Essays früherer Jahre sind in den Bänden ‚Beziehungen‘ und ‚Elfenbeinturm und Barrikade‘ gesammelt.
Im vergangenen Jahrzehnt hat sich Lenz in einer Vielfalt von Betrachtungen, Reden und Aufsätzen mit wichtigen Themen der Zeit, der Kunst und des Schreibens auseinandergesetzt. Neben einfühlsamen, erhellenden Texten über Heinrich und Thomas Mann, Dostojewski, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Strindberg und Andrzejewski stehen Überlegungen zu Phantasie, über das Erinnern, über den Frieden. Wie ein Leitmotiv wirkt dabei das Nachdenken über die Beziehung zwischen Geschichte und Gegenwart, die Lenz 1988 in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels so charakterisierte: „Geschichte ist nie abgeschlossen, sie wirkt in jede Gegenwart hinein, sie überprüft uns, gibt uns etwas auf, sie verstört, erinnert und verpflichtet uns und läßt uns erschauern vor den Möglichkeiten des Menschen“.