Übersetzung und Rezeption
Die byzantinisch-neugriechischen und spanischen Adaptionen von »Kalila wa-Dimna«
Johannes Niehoff-Panagiotidis
Der indische Fürstenspiegel Pancatantra gehört zu den meistgelesenen und am häufigsten übersetzten Werken der Weltliteratur.Sein Original wurde auf Sanskrit verfasst, zahllose Rezensionen und Bearbeitungen folgten, und schon in der Spätantike gelangte es in einer mittelpersischen (Pahlawi-) Fassung in den Westen, die mittlerweile verloren ist. Deren arabische Fassung, die schon Kalilah wa-Dimnah hieß, stammt von einem der brühmtesten Literaten der frühen Abbasidenzeit, Ibn al-Muqaffa und trat vom arabisch-islamischen Kulturraum aus ihren Siegeszug durch das mittelalterliche Europa an, der bis in das 16. Jahrhundert andauerte.Dass diejenigen Gebiete Europas, die auch sonst am stärksten in Kontakt mit der arabischen Welt standen, besonders an der Übersetzung und Weitervermittlung von Kalilah wa-Dimnah beteiligt waren, ist im Falle der Iberischen Halbinsel bekannt.Ungeklärt ist diese Rolle bisher jedoch, was Byzanz, die andere Kontaktstelle zum Islam, betrifft. Die Überlieferungsgeschichte der verschiedenen griechischen Fassungen ist nur für die älteste geklärt, welche der Arzt Simeon Seth unter dem byzantinischen Kaiser Alexios I. (1081 bis 1118) anfertigte.Die Enstehung der übrigen griechischen Versionen, ihr Verhältnis zum arabischen Original und zu den verschiedenen bekannten neugriechischen Bearbeitungen ist bisher weitgehend ungeklärt.Das vorliegende Buch versucht, diese Fragestellung in einem breiteren Rahmen zu lösen: Literarische Übersetzung setzt, und besonders im Mittelalter, eine Reihe von Gegebenheiten voraus, deren Kenntnis wiederum für Fragen des Kulturkontakts, der Mehrsprachigkeit in traditionellen Gesellschaften und der Kommunikationswege zu dieser Zeit bedeutsam ist. Daher erwies sich der systematische Vergleich der literarischen Kontakte zwischen Byzanz und den Arabern mit dem parallelen, aber doch auch wieder verschiedenen Fall der Iberischen Halbinsel als notwendig, um dem Problem literarischer Rezeption zwischen unterschiedlichen Kulturräumen gerecht zu werden. An der Schnittstelle zwischen dem mittelalterlichen Europa, dem arabisch-islamischen Kulturraum und Byzanz lag Sizilien. Über Jahrhunderte existierten hier drei Weltsprachen – und Literaturen neben – und miteinander. Die Rolle, welche die trikulturelle Insel beim Kulturkontakt zwischen Ost und West gespielt hatte, ist schon länger bekannt. Unklar war jedoch die Bedeutung, die sie für die Übersetzung orientalischen Erzählgutes, wie eben Kalilah wa-Dimnah, ausgeübt hat. Dieses Buch versucht den Nachweis zu erbringen, dass die sich der Anteil, der dem auch sonst als Übersetzer naturwissenschaftlicher Schriften bekannten Eugenios von Palermo bei der Übertragung von Kalilah wa-Dimnah zugeschrieben wird, literarisch und rezeptionsgeschichtlich genau abgrenzen lässt.Eugenios war aber auch ein hoher Politiker und Militär – sein Werk, zu dem auch die Übersetzung von Kalilah wa-Dimnah gehört, ist somit auch repräsentativ für die Stellung, die das griechische Element Siziliens bei der Konstituierung der normannischen und staufischen Monarchie einnahm.