Vergöttlichung bei Vladimir Solov’ëv und Lev Tolstoj
Ein Dialog, der nie geführt wurde
Michael Bertram Altmaier
Der zunehmende soziale Wandel, das Wegbrechen traditioneller Überzeugungen und das Aufkommen neuer Weltbilder und Ideologien prägten das Russische Reich im 19. Jahrhundert. Der Religionsphilosoph Vladimir Sergeevic Solov’ëv (1853-1900) sucht in dieser Zeit ebenso wie der Schriftsteller und Religionsphilosoph Lev Nikolaevic Tolstoj (1828-1910) nach Antworten auf religiöse und gesellschaftliche Fragen. Beide Denker entdecken im Christentum die patristische und ostkirchliche Theosis-Hoffnung neu und suchen sie für ihre Zeit fruchtbar zu machen. Beide tun das auf unterschiedliche Weise. Während Solov’ëv eine monistischen, alle menschlichen Erkenntnisse in einer großen Kosmologie vereinenden Glauben favorisiert, sucht Tolstoj nach einer klaren rational-ethischen Weltanschauung ohne „mystische Beigaben“.
Solov’ëv und Tolstoj waren nicht nur Zeitgenossen, sie kannten sich auch persönlich und standen miteinander in Kontakt. Das anfängliche gegenseitige Interesse wich jedoch im Lauf der Jahre einer immer stärkeren Abgrenzung voneinander. Zu einem fruchtbaren Diskurs über die Frage nach der Vergöttlichung des Menschen kam es nicht. Die vorliegende Arbeit rekonstruiert die Vergöttlichungsvorstellungen der beiden Denker, versucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und möchte damit einen Dialog aufnehmen, der leider nie geführt wurde.