Vom ‚Kronjuristen‘ zum ‚Kronzeugen‘
Friedrich Wilhelm Gaus: ein Leben im Auswärtigen Amt der Wilhelmstraße
Gerhard Stuby
Im Wirken von Friedrich Wilhelm Gaus, des langjährigen Leiters der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, wird die Kontinuität deutscher Diplomatiegeschichte unter Rathenau, Stresemann und Hitler nachgezeichnet.
Versailles, Rapallo, Locarno, Kellog- und Hitler-Stalin-Pakt – kaum ein Vertrag, den Friedrich Wilhelm Gaus, von 1907 bis 1945 im Auswärtigen Amt tätig, nicht formuliert hat. Dem ‚Kronjuristen‘ des Reiches ging es um die Revision von Versailles. In diesem Ziel war er sich prinzipiell mit Hitler einig. Doch im Unterschied zu diesem strebte er in der Weimarer Zeit wie sein Minister Gustav Stresemann nach einer friedlich-diplomatischen Revision. Als die faschistische Diktatur errichtet wurde, hatte Gaus allerdings wenig Skrupel, nunmehr Hitlers Kurs kriegerischer Revision und Expansion zu folgen.
Nach 1945 wurde Gaus, anstatt von den Alliierten angeklagt zu werden, ihr wichtigster ‚Kronzeuge‘ im Nürnberger Wilhelmstraßenprozess. ‚Trägheit des Herzens‘ und Angst um seine Familie – seine Frau war ‚jüdischer Mischling‘ –, habe ihm nicht erlaubt ‚auszusteigen‘. Wegen seiner Rolle in Nürnberg ist er erst zum Inbegriff des ‚Nestbeschmutzers‘ geworden, später in Vergessenheit geraten.
Unter Außenminister Fischer wurde eine Historikerkommission eingesetzt, die die Rolle des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit untersuchen soll. Das zeigt die Aktualität des Themas. Die Studie von Stuby erklärt diese Rolle nicht nur aus der Kontinuität von Preußentum zum Imperialismus Hitlerscher Prägung, sondern macht sie anhand der Tätigkeit eines Diplomaten anschaulich. Seine Analyse liefert zugleich reiches Anschauungsmaterial zur Funktion von Völkerrecht in den internationalen Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit.