Von der Erlebnis- zur Bekenntnisgeneration
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft
Oliver Samwald
Verbandstheoretische Untersuchungen sind ein traditionelles Metier der Politikwissenschaft. Allerdings stehen dabei im Allgemeinen andere Sektoren im Mittelpunkt: So widmen sich zahlreiche Untersuchungen etwa gewerkschaftlichen Organisationen oder Wirtschafts- und Wohlfahrtsverbänden. Gerade Vertriebenenverbände stellen dabei einen interessanten, bisher unterbeleuchteten Fall organisierter Interessen dar: Laut Sebaldt handelt es sich um Organisationen relativ homogener Personenkreise, die gemeinsame Erfahrungen und Gefühle vereinen und sich durch ein hohes Alter innerhalb der Mitgliedschaft sowie damit verbunden einen kontinuierlichen Schwund an Mitgliedern auszeichnen. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist die Untersuchung dieser in der Nachkriegszeit entstandenen Verbände bisweilen ausgeschlossen geblieben.
Hingegen sind historische und kulturelle Untersuchungen zur „Sudetenfrage“ in den vergangenen Jahren zahlreich erschienen. Zudem widmen sich diverse Forschungen gerade im Rahmen der Themenaktualität den außenpolitischen Interessen und Entwicklungen von Vertriebenenverbänden: Im Jahr 2004 traten ehemalige Ostblockstaaten wie Tschechien, Polen, Ungarn und Estland, in denen nach dem Krieg Vertreibungen der deutschen Bewohner erfolgten, der Europäischen Union (EU) bei. Eine Reihe von junger Autoren bemühen sich um neutrale, wissenschaftliche Analyse dieser Entwicklungen – etwa Birgit Vierling mit einer Arbeit über Fortschritte und Hindernisse der deutsch-tschechischen Annäherung in den Jahren 1998-2004 oder Henning Süssner in einem Diskurs über die Heimatpolitik deutscher Vertriebenenverbände.
Viele der zugänglichen Veröffentlichungen sind darauf ausgelegt, „revisionistische“ und „revanchistische“ Züge in den Verbandsstrategien und Äußerungen von Vertriebenfunktionären ausfindig zu machen. Dies belegen zahlreiche Links und Homepages, wenn man nach entsprechenden Begriffen sucht. Auf der anderen Seite eröffnen die Publikationen der sudetendeutschen Vereinigungen wie dem „Sudetendeutschen Rat“ zwar einige hilfreiche Daten und Quellen, aber ebenfalls kaum unvoreingenommene, wissenschaftliche Einblicke in die Thematik. Umso wichtiger erscheint es, sich für die vorliegende Frage einem Vertriebenenverband und dessen Arbeit wertungsfrei anzunähern.