Werkausgabe in Einzelbänden / Stadtgespräch
Siegfried Lenz
Die kleine Stadt, die jedermanns Stadt sein könnte, liegt an einem Fjord, eine rechtschaffene Stadt, deren Leben geordnet ist, ohne Aufregung in ihrer Geschichte. Nur einmal war es anders: Ein Ereignis riß die Stadt aus ihrer Ordnung heraus, und von diesem Ereignis sollte sie fortan nicht mehr loskommen; es wurde zum Inhalt des Stadtgesprächs, hielt sich hartnäckig darin – und veränderte sich dabei. Doch dann versucht einer, das Ereignis, an dem er teilhatte, vor dem Stadtgespräch in Sicherheit zu bringen: Tobis, der Erzähler.
Er erinnert sich an die Zeit des Krieges, der Gegner hält die Stadt besetzt. Eines frühen Morgens fahren Lastwagen durch die Straßen, sie halten vor bestimmten Häusern; der Kommandant der Stadt läßt nach einem Attentat vierundvierzig Geiseln festnehmen, ausgesuchte Männer, die Elite der Bevölkerung. Er will mit dieser Maßnahme Daniel, den jungen Anführer der Widerstandsgruppe, zwingen, sich zu stellen. Daniel muß sich entscheiden: Folgt er der Aufforderung, wird es keinen Widerstand mehr geben; stellt er sich nicht, sterben vierundvierzig Männer.
Das ist ein Ereignis, von dem die Stadt nicht aufhören wird zu sprechen. Es wird zum Stadtgespräch, und es ändert sich mit der Zeit, mit dem Wandel der Verhältnisse. Am Beispiel der Betroffenen versucht Siegfried Lenz, auch den Leser zu einer Entscheidung aufzufordern, sich zu den Ereignissen in Beziehung zu bringen und, wo es nötig sein sollte, seine Einstellung zu überprüfen. Denn es bleibt die Frage: Gibt es eine Moral, die für sich beanspruchen kann, auf das Entweder-Oder, dem Daniel – und mit ihm die Stadt – sich ausgesetzt sieht, eine eindeutige Antwort bereitzuhalten?
„Dieser Roman“, so schrieb die Welt, „nimmt den Leser nicht nur gefangen, weil er hier in den Bann einer besonderen Erzählkunst gerät, sondern vor allem auch, weil er in jeder Zeile die hohe Gerechtigkeit eines Mannes spürt, der den Menschen, auch wenn er schuldig ist, nicht verachten kann.“