Wie ein unzerstörbarer Edelstein
Die Geschichte des Gießener Wingolf 1852 - 2022
Hans-Heinrich Herwig, Hans-Helmut Hoos
Die Geschichte des Gießener Wingolf widerspiegelt auch die gesellschaftspolitischen Zeitläufte in den unterschiedlichen Herrschaftssystemen. Sie berichtet vom Mut der Stifter,
gegen die bestimmende theologische Richtung des Rationalismus einerseits und die beherrschende Präsenz der Corps andererseits eine Verbindung gleichgesinnter Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen zu gründen. Grundlage hierfür war eine erweckungschristliche Überzeugung ohne Hang zu dogmatischer Engherzigkeit. Diese Verbindung erstreitet sich eine anerkannte Stellung an der Universität und im später entstehenden Bund der Wingolfsverbindungen an den Universitäten. Die examinierten Mitglieder der Verbindung bauen in Gießen für ihren Lebensbund ein aus universitätsgeschichtlicher, künstlerischer und städtebaulicher Sicht bedeutsames Gebäude. In der Zeit des Nationalsozialismus belegte die aktive Verbindung der Studenten im Gießener Wingolf, dass der totalen Forderung des Staates im Sinne von Gleichschaltung und Kontrolle der totale Anspruch der Gemeinschaft auf Freiheit des Gewissens gegenübersteht. Die aktive Verbindung löste sich 1935 unter der Polarisierung einer freien, bekenntnisorientierten Bindung an Gott und der nationalsozialistisch-ideologiebehafteten Denk- und Handlungsstrukturen der Deutschen Christen auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich 1948 wiederum gleichgesinnte Studenten zusammen, die dem ursprünglichen Gedanken einer schlichten, christlichen Frömmigkeit folgend, gepaart mit studentischer Fröhlichkeit, den Gießener Wingolf wieder gründeten.