Wilde Kinder in der Frühen Neuzeit
Geschichten von der Natur des Menschen
Hansjörg Bruland
„Wilde Kinder“, vielen Quellen zufolge in frühester Kindheit in die Wildnis geraten, um nach jahrelanger Isolation den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden, sind spätestens seit Truffauts Der Wolfsjunge einem breiten Publikum bekannt geworden. Weniger geläufig ist jedoch, dass eine ganze, von den Gedanken Defoes, Rousseaus oder Linnés angetriebene Epoche meinte, in ihnen einen Schlüssel zur Natur des Menschen gefunden zu haben: Wilde Kinder wurden zum Kondensationspunkt aufklärerischen Gedankenguts, zu einem zentralen Thema von Presse und Wissenschaftsliteratur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.
Nachgezeichnet werden Ursprünge und Verlauf jenes gewundenen Pfades, dem Rezeption und wissenschaftliche Funktionalisierung der Fälle folgten, vor allem auch die bislang kaum beachtete naturgeschichtliche Verarbeitung im deutschen Sprachraum. Sie verbindet sich mit Namen wie Schreber, Zimmermann und Blumenbach, aber auch Herder und Kant. Es ist eine Geschichte gewagter Theorien, abenteuerlicher Denkmanöver, erbitterter Debatten – und oft genug wissenschaftlichen Selbstbetrugs.