Wo Götter, Menschen und Tote lebten
Eine Studie zum Weltbild der alten Ägypter
Franz Ulrich Dieter Kurth
So wie wir haben auch die vor uns lebenden Menschen versucht, die physische Welt zu begreifen. Dabei ist in den frühen Hochkulturen der forschende Geist nicht selten von den Gegebenheiten der näheren Umwelt ausgegangen, um sie analog auf jene fernen Bereiche zu übertragen, die unseren fünf Sinnen verborgen sind.
Die Umwelt der alten Ägypter war das Niltal, jene Flußoase, die sich, flankiert von Wüsten und Ge-birgen, weit über tausend Kilometer lang zwischen dem ersten Katarakt bei Assuan und dem Mit-telmeer erstreckt.
Daraus, daß die Sonne auf ihrer täglichen ost-westlichen Bahn das süd-nördlich ausgerichtete Niltal überquerte, ergab sich das große Ordnungsprinzip der vier Himmelsrichtungen. Darin gab es aber rätselhafte und besorgniserregende Erscheinungen: Welchen Weg nahm die Sonne in der Nacht? Warum verlagerte sie ihre tägliche Bahn im Winter nach Süden und im Sommer nach Norden? Könnte die Sonne eines Tages für immer verschwinden? Welche Kraft hielt die wandernden Ge-stirne hoch oben am Himmel? Wer sorgte dafür, daß die lebenspendende Nilüberschwemmung jedes Jahr wiederkam?
Für ihre Antworten haben die Ägypter nicht nur ihre Umwelt herangezogen, sondern auch den menschlichen Körper und Dinge, die sie selbst geschaffen hatten, zum Beispiel Gebäude. Doch auch damit hätten sie keine Antworten gefunden, wenn sie nicht die Götter als treibende Kraft hinter allen Dingen erkannt hätten. Mit den Göttern hauchten sie der Materie Leben ein und schufen das geistige Gebilde einer Welt, in der alles lebte, zyklisch verging und wiederkehrte, eine Welt voller Mythen, ein faszinierendes Zeugnis der menschlichen Phantasie, das noch heute die Fachleute und die Laien gleichermaßen in seinen Bann zieht.
Viele der historischen Quellen zum Weltbild der Ägypter entstammen dem Bereich des Toten-glaubens, was nicht überraschen kann; denn ein Weiterleben nach dem Tode war eng mit der Frage verbunden, wo in der Welt es seinen Ort hatte.
Die Quellen, teils Bilder teils Texte, reichen von der Frühgeschichte über die klassischen und späten Epochen Altägyptens bis weit in die christliche Ära hinein. Die Quellen werden kommentiert, die Texte übersetzt und mit Lautschrift versehen. Aufgegriffen werden auch interessante Fragestellun-gen der Sekundärliteratur, zum Beispiel diejenige, ob die Ägypter von der Kugelgestalt der Erde gewußt hätten.