Zeitfresser
Leben & sterben in der World of Warcraft
Harald Deckow
Unglaubliche 389 Tage Nettospielzeit standen nach drei Jahren auf meinem Account. Grob überschlagen verbrachte ich von meinem 37. bis 40. Lebensjahr durchschnittlich acht Stunden pro Kalendertag in meiner zweiten Realität. Oder noch etwas krasser ausgedrückt, habe ich ein komplettes Jahr durchgespielt. Wenn ich heute darüber nachdenke, verschlägt es mir selbst den Atem und mir wird wieder bewusst, warum mir dieses Buch besonders am Herzen liegt. Nach drei Jahren exzessivem Gebrauch dieses Spieles wurde mir bewusst, dass sich mein reales Leben auf ein vegetatives Minimum reduziert hatte. Wie bei allen Süchten drehte sich meine Gedankenwelt am Ende nur noch um den „Stoff“, was im Falle der Spielsucht die Erreichung von Spielzeitressourcen bedeutet. Dennoch kann ich nicht sagen, dass ich das Spiel heute wie den Teufel verdamme oder hasse. Ich bin mittlerweile hin und wieder in der alten WoW-Welt und gebe mich bewusst, doch kontrolliert der Spielfreude hin. Mit diesem Buch geht es mir nicht um die Verbannung oder das Verbot des Spiels, sondern es fehlt nach meiner Meinung an einer grundlegenden Aufklärung im Umgang mit Online-Spielen und das bewußt sein von deren Gefahren. Doch dazu später mehr. Ich habe in meiner Lebenszeit als Tooneiy, so hieß mein sogenannter Char (Charakter), auch viele positive Erfahrungen machen dürfen. So habe ich beispielsweise Menschen kennen gelernt, zu denen ich über die Cyberwelt hinaus noch heute Kontakt habe. Die Möglichkeit, die gerade die männliche Hälfte der Bevölkerung stärker anzieht, Krieg zu spielen, war auch nicht unattraktiv und brachte mir durchaus Spannung und Spaß. Doch liegt bei diesem, wie auch bei anderen Spielen der Teufel im versteckten Detail. Wenn du die anfängliche Euphorie unkontrolliert in dich einfließen lässt, wächst es zu einem alles beherrschenden Monster heran. Am Ende bezahlst du diese Rechnung mit Schlafmangel, Frustration deiner Umwelt und ganz einfach mit deiner Lebenszeit. Im schlimmsten Fall wenden sich Freunde und Familie ab.