„Zu den Engeln (lernend) übergehen“
Der Wandel in Rilkes Poetik zwischen den "Neuen Gedichten" und den Spätzyklen
Peter Por
Rilke hat sein Werk immer durch eine doppelte und widersprüchliche Bestimmung entwickelt. In den verschiedenen Bänden, Zyklen und außerzyklischen Werken hat er offensichtlich danach getrachtet, jeweils voneinander stark abweichende oder auch gegensätzlich vorgestellte Gestalten hervorzubringen. Er selbst hat indessen bereits in einem relativ frühen Brief (14. Februar 1907 an Stefan Zweig) geäußert, daß er „so sehr Eines und immer wieder dieses Eine zu sagen hätte“. Auch haben Exegeten den Satz geprägt, wonach Rilke stets das eine und dasselbe Gedicht neu geschrieben habe. Im vorliegenden Buch wird Rilkes Werk der Jahre des langen Überganges von 1908 bis 1922 aufgrund dieser widersprüchlichen Bestimmung ausgelegt In einzelnen Kapiteln werden die großen Kompositionen: Requiem-Zyklus, Malte-Roman, Marien-Zyklus wie auch außerzyklische Gedichte, die als paradigmatisch gelten können, einzeln erörtert; andere Kapitel sind den philosophischen, kunstgeschichtlichen und biographischen Anregungen gewidmet, die die Wendung herbeigeführt haben. In den unterschiedlich geführten Analysen wird aber konsequent die Frage gestellt, wie Rilke von den äußerst geschlossenen und dinglich gefaßten Neuen Gedichten zu den äußerst offenen persönlich gefaßten Elegien gekommen ist, d.h., wie er durch völlig ungleiche Kompositionen immer das „eine“ Wort, das eine und dasselbe poetische Gestaltungsprinzip geändert und zugleich bewahrt hat.