„Zum Dichten gehört Beschränkung“
Hertha Kräftner - ein literarischer Kosmos im Kontext der frühen Nachkriegszeit
Evelyne Polt-Heinzl
Die Literaturgeschichte kennt immer wieder Fälle, wo das eigentliche Werk in der Rezeption hinter dem biographischen Moment zu verschwinden droht, bei Autorinnen scheint die Wahrnehmung besonders leicht und häufig diese Richtung einzuschlagen. Hertha Kräftner ist dafür ein besonderes Exempel. Das Gros der bisherigen Arbeiten konzentrierte sich auf autobiographisch interpretierten Lesarten ihres Werkes. Hertha Kräftner teilt mit vielen jung verstorbenen AutorInnen das Schicksal, dass das Interesse für die Tragik ihres kurzen Lebens, dem sie noch nicht 23jährig selbst ein Ende setzte, lange Jahre den Blick auf ihr Werk verstellte. Dazu trug auch die spezifische Situation nach 1945 bei. Der Auftritt der jungen Autorinnen im paternalistischen Literaturbetrieb verstörte die durchgängig männlichen Literaturkritiker und „Förderer“ wie Hans Weigel oder Hermann Hakel. Ihre verzerrte Perspektive auf die jungen Autorinnen, von denen sie sich wie im Fall Ingeborg Bachmann zudem an literarischer Bedeutung rasch überholt sahen, prägte die Rezeption über Jahrzehnte. Die Beiträge in diesem ersten Sammelband zu Hertha Kräftner lesen erstmals Kräftners Werk nicht als „integrierter Lebensroman“, sondern als Textwerkstatt einer sorgfältig konzipierenden Autorin. Der Band eröffnet damit eine Art Richtungskorrektur: War Hertha Kräftner bislang ein Beispiel für eine Autorin, bei der das Werk in der Rezeption hinter der Biographie zu verschwinden drohte, werden hier neue Impulse gesetzt für eine analytische und genaue Beschäftigung mit ihrem Werk, für eine geduldige Arbeit an und mit ihren Texten. Im Mittelpunkt stehen Hertha Kräftners Werk, ihre Poetologie, ihre literarischen Traditionen und ihr literarisches Selbstverständnis als junge Autorin in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, und das ist eine Zeit, die von uns heute viel weiter entfernt ist, als es der Zahl der Jahre entspricht.