'Die Mittagsgöttin' ist Wilhelm Bölsches dritter und zugleich letzter Roman. 1891 im Umfeld des Naturalismus erschienen, handelt es sich bei ihm um einen Gegenwartsroman, dessen Schauplätze teils in Berlin, teils im Spreewald angesiedelt sind. Von besonderem Reiz, gerade auch für heutige Leser, sind zweifellos die zahlreichen, atmosphärisch dichten Bilder der Stadt, die der Autor detailgetreu eingefangen hat. Der Lichtzauber einer Mitternachtsstunde Unter den Linden, buntes Menschengewühl am Potsdamer Platz, ein Gartenlokal an der Spree: sie alle geben einen sehr lebendigen Eindruck von Berlin um 1890, und es ist gewiß ein lohnendes Unterfangen, die Schauplätze des Romans im heutigen Berlin aufzusuchen, das alte hinter dem neuen Stadtbild aufzuspüren.
Bölsche arbeitete an dem Roman in den überaus produktiven Jahren von 1888 bis 1890, und die vielfältigen Aktivitäten jener Zeit haben deutliche Spuren darin hinterlassen: die ästhetischen und weltanschaulichen Diskussionen in den literarischen Zirkeln der Stadt, die Vorträge vor Arbeiterpublikum und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit deren Lebensverhältnissen, die Aufnahme naturwissenschaftlicher Studien und nicht zuletzt die besondere Leidenschaft des Autors, mit dem Notizblock in der Hand durch Berlin zu wandern und alle seine Beobachtungen detailgetreu festzuhalten. Auf diese Weise ist ein facettenreicher Zeit- und Berlin-Roman entstanden, der zugleich viel Biographisches enthält.
Neben den stimmungsvollen Bildern der Großstadt finden sich ebenso einprägsame Schilderungen des oberen Spreewaldes: das verschlafene Landstädtchen Lübbenau, das von Kanälen durchzogene Dorf Lehde und der geheimnisvolle urwüchsige Wald bei Straupitz. Nur vordergründig folgt der Roman damit der für den Naturalismus typischen Gegenüberstellung von industriell geprägter Großstadt und unverfälschter Natur; bei Bölsche sind die Wertigkeiten anders verteilt. Berlin steht in der 'Mittagsgöttin' für Aufklärung, Rationalität und Fortschritt, der Spreewald dagegen für Mystik, Irrationalismus und Weltflucht. Zwischen diesen Polen verläuft auch die Konfliktlinie des Romans. Ein junger Mann, der sich als Journalist für die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse engagiert, gerät infolge einer Sinnkrise in den Bann einiger skurril gezeichneter Gestalten, die im Spreewald den wissenschaftlich fundierten Nachweis der Existenz spiritistischer Phänomene erbringen wollen. Natürlich steht der moderne Skeptiker diesem Vorhaben zunächst abwehrend gegenüber, läßt sich dann aber, paradoxerweise durch den wissenschaftlichen Grundsatz objektiver und vorurteilsfreier Beobachtung, immer stärker in dieses Treiben hineinziehen. Am Ende fliegt das Ganze mit einigem Getöse als Schwindel auf, und der Held kehrt geläutert, doch um einige Illusionen ärmer, in die Großstadt zurück.
Das heute eher exotisch anmutende Problem des Spiritismus war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weitverbreitetes Phänomen. Anerkannte Wissenschaftler, in Deutschland etwa der Physiker und Philosoph Gustav Theodor Fechner oder der Professor für Astronomie, Friedrich Zöllner, riskierten ihre akademische Reputation bei dem Versuch, dem Metaphysischen in einer mechanistisch verstandenen Welt wieder Geltung zu verschaffen. Bölsche sieht in diesem Bemühen lediglich eine extreme Ausformung dessen, was er im Untertitel seines Romans als 'Geisteskampf der Gegenwart' bezeichnet. Das neue, auf den Arbeiten Darwins und Taines beruhende Weltbild hatte nicht nur die Anforderungen an die wissenschaftliche Forschung verändert; auch Gesellschaft, Religion, Kunst und Ethik standen auf dem Prüfstand. Der Naturalismus ist aus dieser Umbruchsituation heraus entstanden – Bölsches Roman ist Ausdruck dieser bewegten Jahre und zugleich ein erstes Resümee.
Aktualisiert: 2020-01-20
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Kommentiert wird der im Band 6.1 dieser Reihe vorgelegte Briefwechsel zwischen dem Zoologen und Monisten Ernst Haeckel und dem Schriftsteller und populären Vortragsredner Wilhelm Bölsche.
Der Einführungsteil bietet insbesondere für die Bölsche-Forschung interessante Details. Dabei wird der Leser mit der wechselvollen Historie des Bölsche-Nachlasses bekannt gemacht. In einer biographischen Skizze wird der Lebensweg Bölsches nachgezeichnet, welcher durch bislang unbekanntes Quellen- und Bildmaterial ergänzt wird und auch Einblicke in das Familienleben Wilhelm Bölsches gewährt. Ernst Haeckel wird im vorliegenden Band durch einen hier erstmals reproduzierten "Rückblick" aus der Feder seines Freundes vorgestellt.
Im zweiten Teil des Bandes werden die Briefe themenübergreifend kommentiert und so in den zeitgenössischen Kontext eingebettet. Den Rahmen des Kommentarteils bilden ein Essay zur Rolle Bölsches als Volksbildner sowie eine abschliessende Betrachtung zur Freundschaft von Haeckel und Bölsche. Eingebettet in die Kommentierung wurde der Gedankenaustausch über ästhetische, weltanschaulich-philosophische und naturwissenschaftliche Kontexte. Erstmals wid die umfangreiche Vortragstätigkeit Bölsches dokumentiert. Zudem konnten bislang unbekannte Aspekte zum Naturschutzgedanken bei Haeckel und Bölsche ermittelt werden. Ergänzt wird der Band durch ein umfangreiches Personenverzeichnis sowie durch Nachträge zur Bölsche-Bibliographie von Braakenburg (1976).
Inhalt:
Geleitwort
Rosemarie Nöthlich 1. Einleitung
1.1 Spurensuche: Zum Nachlass des Schriftstellers Wilhelm Bölsche
1.2 "Zug nach Osten" - Zum Lebensweg von Wilhelm Bölsche
1.3 "Rückblick auf Haeckel"
Christoph Kockerbeck / Rosemarie Nöthlich 2. Kommentarteil
Christoph Kockerbeck 2.1 Wilhelm Bölsche als Volksbildner der Jahrhundertwende
2.1.1 Einleitung
2.1.2 Das Deutungsmonopol des Monimus
2.1.3 Bölsches Denken und seine Themen
2.1.4 Zum publizistischen Wirken Bölsches
2.1.5 Bölsche und der naturwissenschaftliche Materialismus
2.1.6 Zur Dozententätigkeit Bölsches
2.1.7 Bölsches "schöne Naturwissenschaft"
2.1.8 Die "Freie Bühne" unter der Redaktion Bölsches - Ernst Haeckel und die "Freie Bühne"
Rosemarie Nöthlich 2.2 "Das Geheimnis der Entwicklung" - Zur populären Vortragstätigkeit Wilhelm Bölsches
2.3 Naturschutz bei Bölsche und Haeckel
Christoph Kockerbeck 2.4 Naturästhetik bei Bölsche und Haeckel
2.4.1 Einleitung
2.4.2 Ernst Haeckels "Kunstformen der Natur"
2.4.3 Ernst Haeckels "Wanderbilder"
2.4.4 Die zeitgenössische Rezeption der Naturästhetik Haeckels
2.4.5 Die "Kristallseelen" (1917) und das Projekt einer "populären Strahlungskunde"
2.5 Bölsche als Biograph Ernst Haeckels
Christoph Kockerbeck & Rosemarie Nöthlich 2.6 Zur Rolle Bölsches in den zeitgenössischen nichtreligiösen Weltanschauungsvereinen
2.6.1 Einführung
2.6.2 Der Deutsche Freidenker-Bund
2.6.3 Die Deutsche Gesellschaft für Ethische Kultur
2.6.4 Der Giordano-Bruno-Bund
2.6.5 Haeckel, Bölsche und der "Deutsche Monistenbund"
Christoph Kockerbeck 2.7 Bölsche - Haeckel: Aspekte einer Freundschaft
Rosemarie Nöthlich 2.8 Ergänzug zur Bölsche-Bibliographie von Braakenburg
2.9 Kurzbiographien
Anhang - Verwendete Quellen
- Literaturverzeichis
- Sachindex
- Abbildungsverzeichnis
- Errata-Liste zum Breifband
- Dokumentenanhang
Aktualisiert: 2023-01-07
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Der dritte Band des "Jahrbuch Literatur und Medizin" vereint in gewohnter Weise (I.) Originalarbeiten, (II.) Essays, (III.) Quellen und (IV.) Rezensionen. Bei den diesjährigen Originalbeiträgen liegt ein Schwerpunkt in der Moderne. In den Essays werden unter anderem Heinrich Heine und Martin Walser vorgestellt. Sodann geht es um Viktor von Weizsäcker und die anthropologische Dimensionierung vom Geschichteerzählen. Schließlich dokumentiert ein Essay das seltene Phänomen der Ärztinnen als Literatinnen. In der Abteilung Quellen befindet sich entsprechend eine Schriftsteller-Ärztin, Annemarie Wettley, die erstmals mit Teilen des unpublizierten Werks vorgestellt wird.
Aktualisiert: 2019-01-08
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