Artikel zur Ausstellung erschienen im MuseumsJournal Jan.-Mrz. 2018
Ausstellungsdauer 23. Februar 2018 bis 26. August 2018
Die Schönheit der großen Stadt - Berliner Bilder von Gaertner bis Fetting
»Die Schönheit der großen Stadt« lautet der Titel einer Schrift des Philosophen und Architekten August Endell aus dem Jahr 1908, die, vereinfacht gesagt, zum Sehen und Gestalten der Großstadt einlädt. Endell spricht von der »Welt des Sichtbaren«, eine durch Künstlerhand erschlossene Sphäre, die über die bloße Erfassung der Äußerlichkeit hinausweist. Schon damals hatte sich im Zuge der Metropolenbildung die Vision von einem klassisch schönen Spree-Athen erledigt. Endell aber hält Berlin trotz aller Hässlichkeit im Kern für ein »Wunder an Schönheit und Poesie« und singt ein Loblied auf die menschliche Diversität, der man hier begegnen kann.
Die Berliner Stadtbildmalerei ist zunächst von einer sachlichen Nüchternheit geprägt. Neben Bilder des »offiziellen« Berlins, die auf Verkäufe an das Königshaus zielten, traten bereits in den 1830er Jahren Bestandsaufnahmen von Abseiten der Stadt oder aus dem Lebensumfeld der Künstler. Vor allem Eduard Gaertner nahm einen Querschnitt der Bevölkerung mit ins Bild und fasste dadurch die Aufgabe des Architekturporträts weiter als seine Vorgänger. Hier verbindet sich Realitätsbezogenheit mit dem Reiz des Unscheinbaren. Den enormen Wandel des städtischen Organismus sparte die bildende Kunst in Berlin bis in die 1880er Jahre jedoch weitgehend aus. Stadtdarstellungen resultierten nicht aus der Reflexion aktueller Erfahrung, sondern aus dem Wunsch nach Dokumentation der – zunehmend von Abriss bedrohten – Vergangenheit. Nur der Einzelgänger Adolph Menzel bannte Schauplätze urbanen Lebens auf die Leinwand. 1889 zeigte Lesser Ury seine Straßenbilder, die aus einer bis dahin für die Reichshauptstadt ungewohnten Pariser Sehweise heraus entwickelt waren und zunächst auf völliges Unverständnis beim Publikum stießen. Sogar noch etwas früher schilderte Franz Skarbina die moderne Stadt. Nachhaltig vom französischen Neoimpressionismus beeinflusst war Curt Herrmann, der sich unter Anwendung der Theorien Endells mit dem Stadtbild unter Betonung des Stimmungswertes bei wechselndem Wetter auseinandersetzte.
Während der Impressionismus Großstadt und Großstadtgetriebe als ästhetisches Phänomen entdeckte, interpretierte der Expressionismus die Stadt als Schauplatz existentieller Konflikte. Vor allem nach dem Auftreten der italienischen Futuristen in Berlin 1912/13 entstanden verstärkt scharfkantige, splittrige und aggressiv farbige Kompositionen, die mit einem gesteigerten Interesse an technischen Anlagen und Eingriffen in das Weichbild der Stadt korrespondieren. 1914 veröffentlichte Ludwig Meidner eine »Anleitung zum Malen von Großstadtbildern«, in der er den Brüchen seiner Zeit pathetisch Ausdruck verlieh. In den Straßenszenen von Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner erfährt die Stadt eine subjektive Deutung, sie wird zur Metapher zivilisatorischer Bedrohung. Mit der Novemberrevolution wandelte sich das Bild von der Stadt von der Reflexion zur Projektion: Stadtplaner, Architekten und Maler gingen daran, ihre Visionen als Beitrag zur Schaffung des »neuen Menschen« zu entwerfen.
Berlin als Inbegriff einer rastlosen Metropole ist Teil des Mythos, der die Zwanziger Jahre umgibt. Symptomatisch für die Zeit ist die Fülle unterschiedlicher Stilmittel, das Nebeneinander avantgardistischer und traditionalistischer Strömungen. Berlin als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Widersprüche wurde in einem veristischen Blick auf die Stadt, mehr noch auf ihre Bewohner, aufs Korn genommen. Als obsessiver Flaneur erweist sich Rudolf Schlichter, der den Straßenstrich thematisiert: Berlin als Hure Babylon. Hans Baluschek malte weiterhin die Welt des kleinen Mannes. Politischer Aussagen enthalten sich dagegen die neusachlichen Stadtbilder von Paul Paeschke oder Gustav Wunderwald. Sie protokollieren nüchtern städtische Strukturen wie Verkehrswege, Wohnquartiere, technische Bauten und Industrieanlagen in einem statisch aufgefassten Bildraum, dem, wie bei Werner Heldt, auch eine »magische« Aura innewohnen kann.
Fast alle führenden Künstlerinnen und Künstler, die vor 1933 mit herausragenden Berlin-Bildern hervorgetreten waren, wurden nun aus rassischen, politischen oder künstlerischen Gründen verfolgt. In der inneren Emigration entstanden vereinzelt Metaphern des Rückzugs oder Widerstands unter Verwendung städtischer Motive. Otto Nagel, mit Malverbot im Atelier belegt, hielt in Hunderten von Freilichtskizzen die Gestalt seines Heimatbezirks Wedding, dann des von Bomben bedrohten Alt-Berlins fest.
Ruinenbilder machten einen Großteil der künstlerischen Stadtbild-Produktion der zweiten Hälfte der 1940er Jahre aus, wobei zwischen lokalisierbaren Ansichten und symbolhaften Darstellungen zu unterscheiden ist. Karl Hofer identifizierte die Trümmerwüste mit den Dämonen der Naziherrschaft und des Krieges. Merkwürdigerweise rückten die im weiteren Verlauf durch Wiederaufbau und Spaltung einsetzenden, so offensichtlichen Veränderungen des Stadtbildes erst relativ spät in den Fokus der Malerei. Stattdessen reagierte sie auf die Lebensumstände in der geschundenen Heimat mit elegisch gestimmten Ansichten verlassener Orte oder mit Fensterausblicken – Gemälde, auf denen die Zeit stillzustehen scheint. Das gilt vor allem für die erste Schülergeneration der West-Berliner Hochschule für Bildende Künste. Im Ostteil der Stadt bildete sich die so genannte Berliner Schule heraus, deren »schwarze« Bilder für Leere und Entfremdung stehen. Im Widerspruch zu dem von der DDR-Politik forcierten Aufbau-Pathos blieb sie der überkommenen Stadt mit ihren Makeln verhaftet.
1966 fing Oskar Kokoschka aus Anlass des fünften Jahrestages des Mauerbaus vom Dach des Springer-Hauses die Struktur des von Brachen durchzogenen Ost-Berlins ein. Der Blick über die Mauer wurde in den 1970er Jahren von Karl Horst Hödicke und Rainer Fetting aufgegriffen. In Anknüpfung an den Expressionismus lebten und malten die »Jungen Wilden« den Großstadtdschungel.
Auf die Ereignisse des 9. November 1989 und seine Folgen reagierte die Stadtbildmalerei in West und Ost unterschiedlich. Während auf Ost-Berliner Seite nicht die Tatsache, aber Verlauf und Art des Zusammenwachsens überwiegend kritisch gesehen oder ironisiert wurden, überwog auf westlicher Seite eine ins Bild übertragene Euphorie. Die Wiedervereinigung führte schließlich zu verstärktem Nachsinnen über die deutsche, in Berlin kulminierende Geschichte.
So handelt die Ausstellung von der äußeren Erscheinung Berlins und zugleich von der inneren Verfasstheit seiner Bewohner im Wechsel der Zeiten. Sie unternimmt den Versuch, die Traditionslinien der Berliner Malerei am Beispiel »Stadtbild« aufzuzeigen, nicht in chronologischer Abfolge, nicht im Sinne einer Entwicklungsgeschichte, sondern typologisch – als Einladung zum Entdecken des Wesens der Stadt im Spiegel der Kunst.
Dominik Bartmann
Prof. Dr. Dominik Bartmann ist Ausstellungsdirektor des Stadtmuseums Berlin.
Aktualisiert: 2023-03-16
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