Das Wiedererkennen eines Straftäters durch Gegenüberstellung des Verdächtigen mit dem Tatzeugen herbeizuführen, ist seit ungefähr hundert Jahren eine häufig angewandte Methode in der Kriminalistik. Heute werden Gegenüberstellungen weitgehend als sog. Wahlgegenüberstellungen durchgeführt, bei denen der Zeuge aus einer Reihe von Personen diejenige wiedererkennen soll, die von ihm im Zusammenhang mit der Tat beobachtet wurde. Dieses Verfahren stellt für die Ermittlungsbehörden einen nicht unerheblich Aufwand dar, zumal es in der polizeilichen Praxis keineswegs immer üblich ist, Polizeibeamte als Alternativpersonen heranzuziehen, sondern auch bisweilen versucht wird, Personen aus der Bevölkerungfür diesen Zweck zu gewinnen. Deshalb finden Wahlgegenüberstellungen in erster Linie bei schweren Eigentums- und Gewaltdelikten Anwendung. Als Rechtsgrundlage wird häufig § 58 Abs. 2 StPO herangezogen. Eine kurze Erwähnung findet die Wahlgegenüberstellung darüber hinaus in Nr. 18 RiStBV. Auf den ersten Blick scheint eine Gegenüberstellung ein eher unkompliziertes Verfahren zu sein. Ein Augenzeuge hat einen Straftäter beobachtet und bei der Gegenüberstellung werden ihm eine Reihe von Personen vorgestellt. Seine Aufgabe beschränkt sich nunmehr auf die Erklärung: "Der war es" oder "Von denen war es keiner". Das ist im Grunde eine einfache und überzeugende Aussage. Das Wiedererkennen von Verdächtigen durch Augenzeugen bei Wahlgegenüberstellungen unterliegt jedoch in besonderem Masse der Fehleranfälligkeit. In der Vergangenheit kam es viefach, aufgrund von fehlerhaftem Wiedererkennen, zu skandalösen Fehlurteilen, weshalb sich auch die Gerichte intensiv mit dem Beweiswert von Gegenüberstellungen auseinandersetzen. Zur Verringerung dieser Fehleranfälligkeit ist es notwendig, zwei Probleme zu lösen: einerseits sind die Ursachen für die schlechte Qualität der identifizierten Aussagen zu untersuchen, und zum anderen müssen bestimmte Verfahren entwickelt werden, die den Beweiswert dieser Aussagen verbessern. Zahlreiche psychologische Forschungsprojekte beschäftigen sich zum Teil schon seit Jahrzehnten mit diesen Fragen. Die hier gewonnenen Ergebnisse liefern dem Juristen wichtige Anhaltspunkte auf beiden Ebenen. Zum einen in Bezug auf den Beweiswert der identifizierenden Aussagen. Wie wirken sich besondere Merkmale des Täters auf die Wahrnehmung aus? Welchen Einfluss hat die Wahrnehmungssituation? Zum anderen können Erkenntnisse für das Gegenüberstellungsverfahren selbst gewonnen werden. Das Gegenüberstellungsverfahren muss derart gestaltet sein, dass das Wiedererkennen nicht auf andere Faktoren als die Erinnerung an das wahrgenommene Ereignis zurückgeführt werden kann. Daher werden verschiedene Probleme des Gegenüberstellungsverfahrens experimentell untersucht. Ein zweiter Schwerpunkt der Arbeit widmet sich der Gegenüberstellung im englischen Strafrecht. Im Jahr 1976 befasste sich zum ersten Mal ein grösseres Gremium mit der Frage der Gegenüberstellung. Als Ergebnis seiner Untersuchungen legte dieser Ausschuss den sog. Devlin Report vor, der u.a. eine gesetzlich Regelung dieses Problems forderte. Tatsächlich wurde diesem Anliegen erst 1984 mit dem Erlass des Police und Criminal Evidence Act Rechnung getragen. Die Darstellung dieser Rechtslage, sowie die Auseinandersetzung mit den detaillierten Bestimmungen des Codes of Practise D, stellen den zweiten Schwerpunkt dar. In einem rechtsvergleichenden Teil wird schliesslich der Frage nachgegangen, ob die in England gefundenen Alternativen die Ergebnisse der psychologischen Forschung in ausreichendem Masse berücksichtigen. Interessant ist sicherlich auch, gerade im Hinblick auf die Europäisierung des Strafrechts, die Untersuchung des Problems, ob bestimmte Regelungen des englischen Gegenüberstellungsverfahren auch im deutschen Recht sinnvoll wären
Aktualisiert: 2020-12-04
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