In der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, ob es sich bei der Beziehung zwischen Silene latifolia ssp. alba (Caryophyllaccae) und ihrem parasitischen Bestäuber Hadena bicruris (Lepidoptera, Noctuidae) um" eine parasitische oder eine symbiotische Interaktion handelt. Hierzu wurde eine Analyse von Schaden und Nutzen für die Pflanzen durchgeführt, die auf die Aktivität der Falter zurückfahrbar sind. Der Nutzen besteht in der Anzahl der aufgrund des Blütenbesuchs durch die Imagines entstandenen Früchte, der Schaden in der Anzahl der Früchte, die die granivoren Larven zerstören. Zugrundegelegt wurde der Berechnung des Nutzens der Nahrungsbedarf der Falter währende der Imaginalphase in Form des aufgenommenen Nektarzuckers, der durchschnittliche Zuckergehalt des Nektars einer Blüte im Freiland und das Geschlechterverhältnis der Blüten in einer Population der diazischen Pflanzen. Hieraus wurde die Zahl der von einem Falterpaar besuchten weiblichen Blüten berechnet. Dies ist gleichzeitig die Zahl der Früchte, die aufgrund der Bestäubung dieser Tiere gebildet werden können. Der Schaden wurde errechnet, indem die Zahl der Früchte ermittelt wurde, die eine Raupe zu ihrer Entwicklung benötigt, weiterhin die Zahl der Nachkommen eines Falterpaares sowie deren Mortalität. Hieraus ließ sich auf den Schaden in Form der Zahl der zerstörten Früchte rückschließen, die den Pflanzen durch die Nachkommen eines Falterpaares entsteht. Die Ergebnisse wurden durch Messungen im Freiland überprüft und weitestgehend bestätigt. Ein Vergleich von Schaden und Nutzen für die Pflanzen zeigte, dass H. bicruris ein Parasit von S. latifolia ssp. alba wäre, wenn man die Zweierbeziehung aus ihrem Ökosystem herausgelöst betrachten würde. Beurteilt man aber die Wechselwirkungen der beiden Partner im ökologischen Umfeld unter Einbeziehung der Interaktion mit weiteren Organismen sowie unter Berücksichtigung abiotischer Einflüsse, so ist die Interaktion als Symbiose einzustufen, die jedoch nicht obligat ist, da es sowohl Co-Bestäuber für S. latifolia ssp. alba als auch Ersatzwirte für H. bicruris gibt. Das Ergebnis zeigt, dass Rückschlüsse von im Labor durchgeführten Modellversuchen nicht auf natürliche Gegebenheiten übertragbar sind, da in Laborversuchen Umwelteinflüsse ausgeschlossen werden müssen. Dies ist für grundlegende Aussagen notwendig, macht aber nach der Auswertung der im Labor erzielten Ergebnisse eine Überprüfung auf die Allgemeingültigkeit im Freiland notwendig. Weiterhin wurde untersucht, welche Faktoren bei der Wirtserkennung von H. bicruris eine Rolle spielen. Insbesondere interessierte, aufgrund welcher Merkmale die Falter weibliche Blüten, in die die Eier abgelegt werden, von männlichen unterscheiden. Ein signifikanter Geschlechtsdimorphismus der Trichomdichte der inneren Kelchoberfläche, der bei den Pflanzen festgestellt wurde, spielt hierbei sicher keine Rolle. Geschlechtsunterschiede in der Nektarzusammensetzung könnten von Bedeutung sein, sind aber sicher nicht die ausschlaggebenden Faktoren. So schränkt das Vorhandensein von Saccharose im Nektar die Fähigkeit der Falter zur Geschlechtsunterscheidung der Blüten ein, die Aminosäure Prolin signalisiert wahrscheinlich den Tieren, dass eine Blüte zur Eiablage nicht geeignet ist. Die entscheidende Rolle bei der Wirtserkennung und bei der Erkennung des Blütengeschlechts spielt der Blütenduft. Die Inhaltsstoffe Toluen und Methylbenzoat sind aller Wahrscheinlichkeit nach Eiablagestimulanzien, Methylbenzoat ist gleichzeitig ein Stimulanz bei der Nahrungsaufnahme. Die Erkennung des Blütengeschlechts erfolgt nach den hier erzielten Ergebnissen aufgrund von Komponenten des Duftes männlicher Blüten, die das Eiablageverhalten hemmen. Eine Substanz, die hier in Frage kommt, ist Phenylacetaldehyd.
Aktualisiert: 2022-12-12
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