Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Aktiengesellschaften Schadensersatzansprüche aufgrund von Kartellverstößen gegen ihre Vorstände geltend machen können und inwiefern der Aufsichtsrat verpflichtet ist, diese Ansprüche durchzusetzen.
Die Arbeit kombiniert eine dogmatische und empirische Untersuchung. Schwerpunkt der dogmatischen Untersuchung ist die Haftung des Vorstands auf Schadensersatz nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Dabei liegt der Fokus auf der sich aus der Legalitätspflicht ableitenden Compliance-Pflicht des Vorstands und den grundlegenden Anforderungen an die Einrichtung eines Compliance-Systems. In Hinblick auf die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats nach § 116 S. 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG liegt der Schwerpunkt auf der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats, insbesondere hinsichtlich der Aufklärungsverantwortung bei schwerwiegenden Kartell-Compliance-Verstößen sowie der Pflicht zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand.
Die Grundlage der empirischen Untersuchung sind 22 börsennotierte Aktiengesellschaften, die zwischen den Jahren 2001 und 2021 mit einem Kartellbußgeld der Europäischen Kommission oder des Bundeskartellamts belegt wurden oder einem solchen durch Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung entgangen sind. Im ersten Schritt untersucht die Verfasserin den Umgang mit den Kartellsachverhalten sowie das daraus resultierende Sanktionierungsverhalten der Gesellschaften. Die Feststellungen aus dieser Untersuchung sind Anlass dafür, im zweiten Schritt eine ausführliche Analyse der zeitlichen Herausbildung von Compliance-Systemen vorzunehmen.
Die Untersuchung zeigt auf, dass in der Praxis die Möglichkeit der Inanspruchnahme und Sanktionierung von Gesellschaftsorganen besteht und sich bereits erste Tendenzen erkennen lassen, die zu einer Änderung der Sanktionierungspraxis in der näheren Zukunft führen könnten.
Aktualisiert: 2023-04-06
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Europa ist von der Idee beherrscht, Private als „Kartellwächter“ einzuspannen! Die Geschädigten grenzüberschreitender Kartelle sind aufgefordert im Anschluss an das behördliche Kartellverfahren die ihnen gewährten Schadensersatzansprüche vor den mitgliedstaatlichen Gerichten durchzusetzen. Während die zivilrechtliche Aufarbeitung von Kartellen mittels sog. Follow-on-Klagen aufgrund zahlreicher prozessualer und materieller Hürden lange Zeit nur ein Schattendasein in Europa fristete, befindet sich die private Kartellrechtsdurchsetzung seit einigen Jahren im Aufwind und wird durch die Umsetzung der geschädigten-freundlichen Kartellschadensersatzrichtlinie (Richtlinie 2014/104/EU) weiter forciert. In diesen Zeiten des „Private Enforcement“ kommt auch dem Internationalen Zivilprozessrecht eine herausragende Bedeutung zu. Egal, ob Kläger oder Beklagter, am Anfang eines Prozesses werden alle Marktakteure nur eine Frage stellen: „Wo?“
Vor diesem Hintergrund zeigt die Autorin auf, wie die Auswahl des geeigneten Forums zu einem zentralen Aspekt der Prozessstrategie von Kartellopfern werden kann. Dreh- und Angelpunkt für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im kartelldeliktsrechtlichen Kontext ist dabei die sog. Brüssel Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012). Im Spannungsfeld zwischen abstrakt formulierten Zuständigkeitsvorschriften und kartellrechtspolitischen Wertungen untersucht die Autorin eine sachgerechte Auslegung des Deliktsgerichtsstandes und des Mehrparteiengerichtsstandes für den Kartellzivilprozess und setzt sich dabei kritisch mit dem Urteil des EuGH in der Rs. CDC Hydrogen Peroxide auseinander. Die Auslegung des Deliktsgerichtsstandes beschäftigt sich u.a. mit den mitunter komplexen Strukturen von Kartellen und der Problematik einer wechselseitigen Handlungsortzurechnung von Kartellmitgliedern. Mit Blick auf den Mehrparteiengerichtsstand wertet die Autorin insbesondere die bisherige Judikatur des Gerichtshofs zum zentralen Merkmal der Konnexität aus und zieht Rückschlüsse für die Handhabung im Kartelldeliktsrecht. Mit den besonderen Gerichtsständen verbunden ist die Untersuchung der sachlichen Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen, mit denen die Beteiligten ihre Gerichtspflicht feinjustieren und dafür in der Praxis oftmals auf allgemein formulierte Klauseln zurückgreifen, die eine Kartellbeteiligung des Vertragspartners nicht explizit regeln.
Aktualisiert: 2020-01-06
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