Schwäne im Schnee

Schwäne im Schnee von Britze,  Joachim;Schiolaschwili,  Irma, Mossulischwili,  Micho, Pop,  Traian, Rothfuss,  Uli
Nachwort Micho Mossulischwili wurde am 10. Dezember 1962 im Dorf Araschenda in der ostgeorgischen Provinz Kachetien geboren. Über seine Kindheit, die seine Persönlichkeit und damit auch sein literarisches Schaffen geprägt hat, teilt er mit: „Ist es eine kapitalistische Kindheit oder eine so- wjetische Kindheit? Es ist eine Kindheit und damit Schluss! Ein Kind interessiert sich nicht für das staatliche System oder die Ideologie. Meine Kindheit ist mit zwei Geschehnissen verbunden, aus denen man ersehen kann, warum ich Schriftsteller geworden bin (wenn ich wirklich einer bin). 1. Wenn in meiner Kindheit irgendeine Frau mit Kopftuch zu uns gekommen ist, forderte ich sofort, dass sie es abnehme. Tat sie es nicht, fing ich an zu weinen. Das setzte ich so lange fort, bis die erstaunten und völlig durcheinander gekommenen Frauen ihr Kopftuch abnahmen. Meine Mutter beruhigte sie immer wieder und erklärte ihnen, dass ich sogar sie von Anfang an mit Kopftuch nicht ertragen konnte und immer forderte, dass sie es abnehme. Später, als ich älter wurde, versteckte ich die Kopftücher meiner Mutter, damit sie sie nicht tragen könne. Wenn ich auch jetzt eine Frau mit Kopftuch sehe, wird mein Herz in negative Schwingungen versetzt und ich bin nahe daran, sie zu bitten, ihr Kopftuch abzunehmen und Haare und Gesicht zu zeigen, weil das der schönere Teil der Menschheit ist. Dieses kleine Detail, dass ich bei den Frauen das Kopftuch nicht ertragen konnte, weil es ihre Schönheit bedeckt, war – wie ich erst später begriffen habe, als ich groß geworden war – ein Anstoß dazu, mich so zu benehmen, dass ich den Frauen gefalle. Nach meiner damaligen Beobachtung schmeicheln die Männer den Frauen so, wie sie es nur können, um bei ihnen anzukommen, durch ihr Benehmen oder durch irgendwelche Aktionen. Dadurch habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was ich machen könnte, um den Frauen zu gefallen. Blumen bringen? Natürlich! Aber ich habe auch entdeckt, dass ich Lebensereignisse gut beschreiben konnte. Ich konnte sogar solche Ereignisse erfinden und die Stimmen der Menschen in ihnen hören. Dass ich schreibe, soll man so verstehen, dass ich damit den Frauen als dem schöneren Teil der Menschheit gefallen möchte. Ich denke ständig, dass mir dies bis jetzt nicht völlig gelungen ist. Und deshalb versuche ich immer wieder, neue Sachen zu schreiben … 2. Seit meiner Kindheit begleitet mich noch eine andere außergewöhnliche Schönheit, die meine Seele immer nach oben brachte. Das war die Musik. Aber die Sache mit der Musik war komplizierter. Es gab eine Art von Musik, die ich nicht leiden konnte und vor der ich wegrannte. Ich schaltete entweder das Radio aus oder verließ das Zimmer, um sie nicht hören zu müssen. So sehr missfiel sie mir. Aber es gab auch die andere Art der Musik. Wenn meine Seele sie hörte, flog sie hoch und begann sich frei zu bewegen in irgendwelchen wunderschönen Gefilden, oder sie flog um seltsam stehende und seltsam sprechende Menschen herum. Das gefiel ihr sehr. Bevor ich anfing zu studieren und dabei Erzählungen zu schreiben, wusste ich nicht, warum ich einen so seltsamen Bezug zur Musik hatte. Als ich versuchte, meinen eigenen Prosastil zu finden, las ich viele Schriftsteller. Ich erlernte meinen Schreibstil von ihnen und schrieb sogar ganze Seiten bei ihnen ab, um zu verstehen, wie sie schrieben. Einige Schriftsteller standen mir nahe und von einigen wollte ich wegrennen. Hier passierte mir dasselbe wie mit der Musik, als ich klein war. Aber während ich damals nicht verstehen konnte, was mit mir los war, habe ich beim Studium der Schriftsteller folgendes verstanden: Mir steht Hermann Hesse nahe, und weit weg steht Thomas Mann. Mir steht Akutagawa nahe, und weit weg steht Kawabata. Mir steht Dostojewskij nahe, und weit weg steht Tolstoj. Mir steht Wascha Pschawela nahe, und weit weg steht Ilia Tschawtschawadze. Dabei bedeutet das überhaupt nicht, dass Thomas Mann, Kawabata, Tolstoj und Ilia Tschawtschawadze schlechte Schriftsteller seien. Sie stehen einfach weit weg von meiner inneren Natur. Später, als ich begriffen hatte, dass der Rhythmus eines jeden Werks von Musik beeinflusst ist, entdeckte ich, dass Hermann Hesses Schreibrhythmus durch Mozarts und Bachs Musik bedingt ist, und nicht beispielsweise durch Beethoven, Haydn oder Schumann. Der Rektor des Staatlichen Tifliser Konservatoriums, Professor Nodar Gabunia, hat einmal in einem Interview gesagt: ‚Von den Romantikern stehen mir Schubert und Schumann am nächsten. Meine Natur als Musiker ist fest geradeaus, nicht biegsam oder geschmeidig. Wenn wir das mit den Tieren vergleichen, habe ich wenig von der Natur der Katze in mir, mehr von der des Hundes. Die Beweglichkeit der Katze findet sich bei Mozart und Chopin, eine einschmeichelnde Beweglichkeit. Du beobachtest die Konturen und siehst keine Ecke. Bei Haydn, Beethoven und Schumann sind diese Ecken sichtbar. Ich spiele zwar selbstverständlich auch Chopin. Ich habe es aber immer vermieden, ihn auf der Bühne zu spielen, weil ich immer argwöhnte, dass es nicht das war, was es sein sollte. Ich habe auch Mozart nicht so oft gespielt. Viel lieber spielte ich Haydn, Beethoven, Schubert …‘ Das heißt, dass die (ja auch in der Psychologie bekannte) Einteilung in Katzen und Hunde ebenso wie bei den großen Komponisten auch bei den gewöhnlichen und ungewöhnlichen Menschen besteht. Hermann Hesse zum Beispiel ist eine Katze (sein autobiographischer Held Harry Haller aus dem Roman „Steppenwolf“ klammert sich in einem seiner Zauberträume an die langen Haare Mozarts und so schaukelt er auch in der Welt herum …) und Thomas Mann ist ein Hund. Katzen sind Bach, Mozart und Chopin. Hunde sind Beethoven, Haydn, Schubert und Schumann. Eine Katze ist Don Quijote und ein Hund Sancho Panza. Als ich diese psychologische Einteilung fand und mich daran erinnerte, dass ich nach dem orientalischen Kalender ein Tiger bin (da ich 1962 geboren wurde), d.h. dass ich eine Katze bin, entdeckte ich auch, dass ich seit meiner Kindheit den Katzen-Komponisten viel näher stehe. Es machte mich glücklich sie zu hören, während ich vor den Hunde-Komponisten wegrannte. Später passierte mir genau dasselbe mit der Literatur. Seitdem weiß ich, wie ich meine Werke schreiben soll. Der Stil eines jeden meiner Werke ist durch einen Komponisten oder eine Musik des Katzentyps bedingt: elastisch, knapp und ungezwungen. An diesem Zyklus von Miniaturen habe ich zum Beispiel mein ganzes Leben lang geschrieben. Ihnen liegen einzelne musikalische Phrasen von Komponisten zu Grunde. Wenn man einzelne Ausschnitte spielt, ohne sie zu beenden, und dann zu den nächsten übergeht, entsteht am Ende ein Mosaik … Was ich schreibe, kommt nicht aus anderer Literatur oder ist von anderen Schriftstellern beeinflusst, sondern ist im Grunde der Musik entnommen. Genauso suche ich immer wieder „meine Katzen-Maler“ für visuelle Vorstellungen und versuche dann, etwas zu schreiben. Diesen Zugang zur Literatur verursachten die in der Kindheit angehörten Musikarten: vor der einen bin ich weggerannt, die andere habe ich immer wieder gesucht.“ Nach der Schulzeit entschied sich Micho Mossulischwili für das Studium der Geologie und Geographie, das er 1981-1986 an der Universität von Tiflis absolvierte. Im Nebenfach studierte er Kinodramaturgie. Schon zu dieser Zeit war er schriftstellerisch tätig. Für das Studium der Geologie hatte er sich entschieden, um finanziell unabhängig zu sein und damit seinen literarischen Neigungen besser nachgehen zu können. In der Sowjetunion war es nicht leicht, als Literat zu leben, wenn man nicht vollständig mit dem System übereinstimmte. Im letzteren Falle musste man längere Zeit auf die Veröffentlichung seiner Werke (und damit auf die davon abhängenden Honorare) warten. Micho Mossulischwili bemerkt dazu: „So wie meine anderen Freunde dachte auch ich, dass Literatur und auch die anderen Kunstrichtungen nicht eingeschränkt werden sollten. Sie dürfen auf keinen Fall einer Ideologie hörig sein. Sonst verschwindet beim Verschwinden der Ideologie auch das Interesse am Werk.“ Aber es kam noch ein anderer Aspekt hinzu: „Ich frage mich: Was willst du eigentlich bei der Geologie? Warum wolltest du das lernen und später darin arbeiten? Auch heute denke ich genau dasselbe wie damals: Das Leben der Geologen ist das Leben von Wandernden und Reisenden. Wer danach strebt, viel zu sehen, blickt dabei nicht nur in die geographische Landschaft und zu den dort lebenden Menschen, sondern auch in die Tiefe der Erde und der Vergangenheit.“ Seine erste Novelle „Der Waldmann“ schrieb er bereits 1982. Sie wurde 1984 in der angesehenen traditionsreichen, 1852 gegründeten literarischen Zeitschrift „Ziskari“ veröffentlicht. Während des Studiums absolvierte er im Sommer 1985 ein geologisches Praktikum in der Berg-Region Ratscha im mittleren georgischen Kaukasus-Gebiet, das er sehr genoss. Ein Jahr später schloss er das Studium ab und wurde danach als Geologe bei der Georgischen Geologisch-Geophysikalischen Gesellschaft angestellt. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde er in der nordöstlich gelegenen Bergregion Pschawi eingesetzt, der Heimat des von ihm verehrten georgischen Schriftstellers Wascha Pschawela. Die Arbeit begann im Frühling. Sie zogen mit Zelten und Ausrüstung über Wiesen und Felder, nahmen Gesteinsproben und erstellten Pläne über mögliche Rohstoffvorkommen. „Diese Beschreibungen wurden auf Russisch verfasst und an das Ministerium für Bergbau der Sowjetunion geschickt.“ Die Tätigkeit war interessant und voller unerwarteter Begebenheiten. „Ich hatte alltägliche Beziehungen zu den Einheimischen in Pschawi. Ich schrieb alles in meinem Notizbuch auf, was sie mir erzählten. Die Pschawier sprachen in ihrem eigenen Dialekt, der vielleicht nicht nur ein Dialekt ist, weil diese Sprache eigentlich das Altgeorgische bewahrt hat. In diesem Dialekt schrieb der große Wascha Pschawela, dessen Werke sehr viel Gemeinsames mit Goethe, vor allem dessen Faust, haben, was ein eigenes Thema für die Literaturwissenschaft sein könnte. Für mich als Schriftsteller war die Erfahrung als Geologe in Pschawi, wo man heute noch Wascha Pschawelas Sprache spricht, äußerst fruchtbar. Dem Leben „in dieser Ecke“ fühlte ich mich sehr verbunden. Mein Notizbuch ist voller Anmerkungen zu dem, was ich dort gehört habe. Ich schrieb ganze Tagebücher und bewahrte sie auf, was ich später gut in Erzählungen verarbeiten konnte.“ 1987 heiratete er. Der Ehe entstammt eine Tochter. 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das geologische Institut in Tiflis aufgelöst und die dort beschäftigten Geologen wurden arbeitslos. Die Schwierigkeiten dieser Zeit und der Zerfall der alten Gesellschaft sind in vielen seiner Miniaturen zu spüren. Micho Mossulischwili selbst verdiente seinen Lebensunterhalt nun als Journalist bei verschiedenen Zeitungen, als freier Schriftsteller sowie als Übersetzer von Drehbüchern für die Fernsehproduktion. Daneben übersetzte er auch schöne Literatur, vor allem einige Kriminalromane des bekannten russischen Autors Boris Akunin. Zum Untergang des sowjetischen Imperiums und der Rolle Georgiens bemerkt er: „Was fühlte ich, als die Sowjetunion zusammenbrach? Ich wusste, dass es ein Land mit einer wackligen Ideologie war, die den Menschen vergessen hatte und aus den Menschen kommunistische Drachen gemacht hatte. Sie wäre auf jeden Fall auseinandergebrochen. Es gab keinen anderen Weg. Aber ich war sehr traurig, dass mein kleines Land und meine kleine Familie in den Trümmern dieses großen Imperiums verschüttet waren. Ich denke auch jetzt, dass wir uns immer noch zwischen den Trümmern des russischen Imperiums befinden und dass Russland mit seinen schleichenden Okkupationen gegen uns kämpft, dass es mit den von ihm finanzierten Gruppen und Fernsehsendern – soweit es die internationale Gemeinschaft zulässt – daran arbeitet, uns zu zähmen und wieder in sein erneuertes und modernisiertes Imperium hineinzubringen.“ Micho Mossulischwili ist heute ein äußerst fruchtbarer Autor, der vor allem auf den Gebieten der Prosa und des Dramas tätig ist. Seine Novellen und Romane sind oft auf den georgischen Bestsellerlisten zu finden, seine Theaterstücke werden an allen namhaften Theatern Georgiens gespielt, darunter auch am Akademischen Schota-Rustaweli-Theater in Tbilissi, dem ersten Theater Georgiens. Er wird häufig mit Preisen ausgezeichnet, national wie international. In Deutschland ist vor allem seine Kriminalsatire in einem Akt „Weihnachtsgans mit Quitten“ bekannt geworden, die humorvoll Kritik an der modernen Konsumgesellschaft übt. Einen Bezug zu Deutschland hat auch sein Roman „Flug ohne Fass“, in dem es – unter Anspielung auf den Fassritt Mephistos und Fausts in Auerbachs Keller – um das halblegale Dasein dreier georgischer Emigranten in deutschen Flüchtlingslagern und allgemein ihr Schicksal in Deutschland zusammen mit ein paar nigerianischen Gaunern geht. Micho Mossulischwili greift die unterschiedlichsten Themen in seinen Werken auf. Sein Interesse endet nicht an den Grenzen Georgiens. Wir werden noch viel von ihm erwarten können. Joachim Britze
Aktualisiert: 2023-06-27
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Schwäne im Schnee

Schwäne im Schnee von Britze,  Joachim;Schiolaschwili,  Irma, Mossulischwili,  Micho, Pop,  Traian, Rothfuss,  Uli
Nachwort Micho Mossulischwili wurde am 10. Dezember 1962 im Dorf Araschenda in der ostgeorgischen Provinz Kachetien geboren. Über seine Kindheit, die seine Persönlichkeit und damit auch sein literarisches Schaffen geprägt hat, teilt er mit: „Ist es eine kapitalistische Kindheit oder eine so- wjetische Kindheit? Es ist eine Kindheit und damit Schluss! Ein Kind interessiert sich nicht für das staatliche System oder die Ideologie. Meine Kindheit ist mit zwei Geschehnissen verbunden, aus denen man ersehen kann, warum ich Schriftsteller geworden bin (wenn ich wirklich einer bin). 1. Wenn in meiner Kindheit irgendeine Frau mit Kopftuch zu uns gekommen ist, forderte ich sofort, dass sie es abnehme. Tat sie es nicht, fing ich an zu weinen. Das setzte ich so lange fort, bis die erstaunten und völlig durcheinander gekommenen Frauen ihr Kopftuch abnahmen. Meine Mutter beruhigte sie immer wieder und erklärte ihnen, dass ich sogar sie von Anfang an mit Kopftuch nicht ertragen konnte und immer forderte, dass sie es abnehme. Später, als ich älter wurde, versteckte ich die Kopftücher meiner Mutter, damit sie sie nicht tragen könne. Wenn ich auch jetzt eine Frau mit Kopftuch sehe, wird mein Herz in negative Schwingungen versetzt und ich bin nahe daran, sie zu bitten, ihr Kopftuch abzunehmen und Haare und Gesicht zu zeigen, weil das der schönere Teil der Menschheit ist. Dieses kleine Detail, dass ich bei den Frauen das Kopftuch nicht ertragen konnte, weil es ihre Schönheit bedeckt, war – wie ich erst später begriffen habe, als ich groß geworden war – ein Anstoß dazu, mich so zu benehmen, dass ich den Frauen gefalle. Nach meiner damaligen Beobachtung schmeicheln die Männer den Frauen so, wie sie es nur können, um bei ihnen anzukommen, durch ihr Benehmen oder durch irgendwelche Aktionen. Dadurch habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was ich machen könnte, um den Frauen zu gefallen. Blumen bringen? Natürlich! Aber ich habe auch entdeckt, dass ich Lebensereignisse gut beschreiben konnte. Ich konnte sogar solche Ereignisse erfinden und die Stimmen der Menschen in ihnen hören. Dass ich schreibe, soll man so verstehen, dass ich damit den Frauen als dem schöneren Teil der Menschheit gefallen möchte. Ich denke ständig, dass mir dies bis jetzt nicht völlig gelungen ist. Und deshalb versuche ich immer wieder, neue Sachen zu schreiben … 2. Seit meiner Kindheit begleitet mich noch eine andere außergewöhnliche Schönheit, die meine Seele immer nach oben brachte. Das war die Musik. Aber die Sache mit der Musik war komplizierter. Es gab eine Art von Musik, die ich nicht leiden konnte und vor der ich wegrannte. Ich schaltete entweder das Radio aus oder verließ das Zimmer, um sie nicht hören zu müssen. So sehr missfiel sie mir. Aber es gab auch die andere Art der Musik. Wenn meine Seele sie hörte, flog sie hoch und begann sich frei zu bewegen in irgendwelchen wunderschönen Gefilden, oder sie flog um seltsam stehende und seltsam sprechende Menschen herum. Das gefiel ihr sehr. Bevor ich anfing zu studieren und dabei Erzählungen zu schreiben, wusste ich nicht, warum ich einen so seltsamen Bezug zur Musik hatte. Als ich versuchte, meinen eigenen Prosastil zu finden, las ich viele Schriftsteller. Ich erlernte meinen Schreibstil von ihnen und schrieb sogar ganze Seiten bei ihnen ab, um zu verstehen, wie sie schrieben. Einige Schriftsteller standen mir nahe und von einigen wollte ich wegrennen. Hier passierte mir dasselbe wie mit der Musik, als ich klein war. Aber während ich damals nicht verstehen konnte, was mit mir los war, habe ich beim Studium der Schriftsteller folgendes verstanden: Mir steht Hermann Hesse nahe, und weit weg steht Thomas Mann. Mir steht Akutagawa nahe, und weit weg steht Kawabata. Mir steht Dostojewskij nahe, und weit weg steht Tolstoj. Mir steht Wascha Pschawela nahe, und weit weg steht Ilia Tschawtschawadze. Dabei bedeutet das überhaupt nicht, dass Thomas Mann, Kawabata, Tolstoj und Ilia Tschawtschawadze schlechte Schriftsteller seien. Sie stehen einfach weit weg von meiner inneren Natur. Später, als ich begriffen hatte, dass der Rhythmus eines jeden Werks von Musik beeinflusst ist, entdeckte ich, dass Hermann Hesses Schreibrhythmus durch Mozarts und Bachs Musik bedingt ist, und nicht beispielsweise durch Beethoven, Haydn oder Schumann. Der Rektor des Staatlichen Tifliser Konservatoriums, Professor Nodar Gabunia, hat einmal in einem Interview gesagt: ‚Von den Romantikern stehen mir Schubert und Schumann am nächsten. Meine Natur als Musiker ist fest geradeaus, nicht biegsam oder geschmeidig. Wenn wir das mit den Tieren vergleichen, habe ich wenig von der Natur der Katze in mir, mehr von der des Hundes. Die Beweglichkeit der Katze findet sich bei Mozart und Chopin, eine einschmeichelnde Beweglichkeit. Du beobachtest die Konturen und siehst keine Ecke. Bei Haydn, Beethoven und Schumann sind diese Ecken sichtbar. Ich spiele zwar selbstverständlich auch Chopin. Ich habe es aber immer vermieden, ihn auf der Bühne zu spielen, weil ich immer argwöhnte, dass es nicht das war, was es sein sollte. Ich habe auch Mozart nicht so oft gespielt. Viel lieber spielte ich Haydn, Beethoven, Schubert …‘ Das heißt, dass die (ja auch in der Psychologie bekannte) Einteilung in Katzen und Hunde ebenso wie bei den großen Komponisten auch bei den gewöhnlichen und ungewöhnlichen Menschen besteht. Hermann Hesse zum Beispiel ist eine Katze (sein autobiographischer Held Harry Haller aus dem Roman „Steppenwolf“ klammert sich in einem seiner Zauberträume an die langen Haare Mozarts und so schaukelt er auch in der Welt herum …) und Thomas Mann ist ein Hund. Katzen sind Bach, Mozart und Chopin. Hunde sind Beethoven, Haydn, Schubert und Schumann. Eine Katze ist Don Quijote und ein Hund Sancho Panza. Als ich diese psychologische Einteilung fand und mich daran erinnerte, dass ich nach dem orientalischen Kalender ein Tiger bin (da ich 1962 geboren wurde), d.h. dass ich eine Katze bin, entdeckte ich auch, dass ich seit meiner Kindheit den Katzen-Komponisten viel näher stehe. Es machte mich glücklich sie zu hören, während ich vor den Hunde-Komponisten wegrannte. Später passierte mir genau dasselbe mit der Literatur. Seitdem weiß ich, wie ich meine Werke schreiben soll. Der Stil eines jeden meiner Werke ist durch einen Komponisten oder eine Musik des Katzentyps bedingt: elastisch, knapp und ungezwungen. An diesem Zyklus von Miniaturen habe ich zum Beispiel mein ganzes Leben lang geschrieben. Ihnen liegen einzelne musikalische Phrasen von Komponisten zu Grunde. Wenn man einzelne Ausschnitte spielt, ohne sie zu beenden, und dann zu den nächsten übergeht, entsteht am Ende ein Mosaik … Was ich schreibe, kommt nicht aus anderer Literatur oder ist von anderen Schriftstellern beeinflusst, sondern ist im Grunde der Musik entnommen. Genauso suche ich immer wieder „meine Katzen-Maler“ für visuelle Vorstellungen und versuche dann, etwas zu schreiben. Diesen Zugang zur Literatur verursachten die in der Kindheit angehörten Musikarten: vor der einen bin ich weggerannt, die andere habe ich immer wieder gesucht.“ Nach der Schulzeit entschied sich Micho Mossulischwili für das Studium der Geologie und Geographie, das er 1981-1986 an der Universität von Tiflis absolvierte. Im Nebenfach studierte er Kinodramaturgie. Schon zu dieser Zeit war er schriftstellerisch tätig. Für das Studium der Geologie hatte er sich entschieden, um finanziell unabhängig zu sein und damit seinen literarischen Neigungen besser nachgehen zu können. In der Sowjetunion war es nicht leicht, als Literat zu leben, wenn man nicht vollständig mit dem System übereinstimmte. Im letzteren Falle musste man längere Zeit auf die Veröffentlichung seiner Werke (und damit auf die davon abhängenden Honorare) warten. Micho Mossulischwili bemerkt dazu: „So wie meine anderen Freunde dachte auch ich, dass Literatur und auch die anderen Kunstrichtungen nicht eingeschränkt werden sollten. Sie dürfen auf keinen Fall einer Ideologie hörig sein. Sonst verschwindet beim Verschwinden der Ideologie auch das Interesse am Werk.“ Aber es kam noch ein anderer Aspekt hinzu: „Ich frage mich: Was willst du eigentlich bei der Geologie? Warum wolltest du das lernen und später darin arbeiten? Auch heute denke ich genau dasselbe wie damals: Das Leben der Geologen ist das Leben von Wandernden und Reisenden. Wer danach strebt, viel zu sehen, blickt dabei nicht nur in die geographische Landschaft und zu den dort lebenden Menschen, sondern auch in die Tiefe der Erde und der Vergangenheit.“ Seine erste Novelle „Der Waldmann“ schrieb er bereits 1982. Sie wurde 1984 in der angesehenen traditionsreichen, 1852 gegründeten literarischen Zeitschrift „Ziskari“ veröffentlicht. Während des Studiums absolvierte er im Sommer 1985 ein geologisches Praktikum in der Berg-Region Ratscha im mittleren georgischen Kaukasus-Gebiet, das er sehr genoss. Ein Jahr später schloss er das Studium ab und wurde danach als Geologe bei der Georgischen Geologisch-Geophysikalischen Gesellschaft angestellt. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde er in der nordöstlich gelegenen Bergregion Pschawi eingesetzt, der Heimat des von ihm verehrten georgischen Schriftstellers Wascha Pschawela. Die Arbeit begann im Frühling. Sie zogen mit Zelten und Ausrüstung über Wiesen und Felder, nahmen Gesteinsproben und erstellten Pläne über mögliche Rohstoffvorkommen. „Diese Beschreibungen wurden auf Russisch verfasst und an das Ministerium für Bergbau der Sowjetunion geschickt.“ Die Tätigkeit war interessant und voller unerwarteter Begebenheiten. „Ich hatte alltägliche Beziehungen zu den Einheimischen in Pschawi. Ich schrieb alles in meinem Notizbuch auf, was sie mir erzählten. Die Pschawier sprachen in ihrem eigenen Dialekt, der vielleicht nicht nur ein Dialekt ist, weil diese Sprache eigentlich das Altgeorgische bewahrt hat. In diesem Dialekt schrieb der große Wascha Pschawela, dessen Werke sehr viel Gemeinsames mit Goethe, vor allem dessen Faust, haben, was ein eigenes Thema für die Literaturwissenschaft sein könnte. Für mich als Schriftsteller war die Erfahrung als Geologe in Pschawi, wo man heute noch Wascha Pschawelas Sprache spricht, äußerst fruchtbar. Dem Leben „in dieser Ecke“ fühlte ich mich sehr verbunden. Mein Notizbuch ist voller Anmerkungen zu dem, was ich dort gehört habe. Ich schrieb ganze Tagebücher und bewahrte sie auf, was ich später gut in Erzählungen verarbeiten konnte.“ 1987 heiratete er. Der Ehe entstammt eine Tochter. 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das geologische Institut in Tiflis aufgelöst und die dort beschäftigten Geologen wurden arbeitslos. Die Schwierigkeiten dieser Zeit und der Zerfall der alten Gesellschaft sind in vielen seiner Miniaturen zu spüren. Micho Mossulischwili selbst verdiente seinen Lebensunterhalt nun als Journalist bei verschiedenen Zeitungen, als freier Schriftsteller sowie als Übersetzer von Drehbüchern für die Fernsehproduktion. Daneben übersetzte er auch schöne Literatur, vor allem einige Kriminalromane des bekannten russischen Autors Boris Akunin. Zum Untergang des sowjetischen Imperiums und der Rolle Georgiens bemerkt er: „Was fühlte ich, als die Sowjetunion zusammenbrach? Ich wusste, dass es ein Land mit einer wackligen Ideologie war, die den Menschen vergessen hatte und aus den Menschen kommunistische Drachen gemacht hatte. Sie wäre auf jeden Fall auseinandergebrochen. Es gab keinen anderen Weg. Aber ich war sehr traurig, dass mein kleines Land und meine kleine Familie in den Trümmern dieses großen Imperiums verschüttet waren. Ich denke auch jetzt, dass wir uns immer noch zwischen den Trümmern des russischen Imperiums befinden und dass Russland mit seinen schleichenden Okkupationen gegen uns kämpft, dass es mit den von ihm finanzierten Gruppen und Fernsehsendern – soweit es die internationale Gemeinschaft zulässt – daran arbeitet, uns zu zähmen und wieder in sein erneuertes und modernisiertes Imperium hineinzubringen.“ Micho Mossulischwili ist heute ein äußerst fruchtbarer Autor, der vor allem auf den Gebieten der Prosa und des Dramas tätig ist. Seine Novellen und Romane sind oft auf den georgischen Bestsellerlisten zu finden, seine Theaterstücke werden an allen namhaften Theatern Georgiens gespielt, darunter auch am Akademischen Schota-Rustaweli-Theater in Tbilissi, dem ersten Theater Georgiens. Er wird häufig mit Preisen ausgezeichnet, national wie international. In Deutschland ist vor allem seine Kriminalsatire in einem Akt „Weihnachtsgans mit Quitten“ bekannt geworden, die humorvoll Kritik an der modernen Konsumgesellschaft übt. Einen Bezug zu Deutschland hat auch sein Roman „Flug ohne Fass“, in dem es – unter Anspielung auf den Fassritt Mephistos und Fausts in Auerbachs Keller – um das halblegale Dasein dreier georgischer Emigranten in deutschen Flüchtlingslagern und allgemein ihr Schicksal in Deutschland zusammen mit ein paar nigerianischen Gaunern geht. Micho Mossulischwili greift die unterschiedlichsten Themen in seinen Werken auf. Sein Interesse endet nicht an den Grenzen Georgiens. Wir werden noch viel von ihm erwarten können. Joachim Britze
Aktualisiert: 2023-06-27
> findR *

Schwäne im Schnee

Schwäne im Schnee von Britze,  Joachim;Schiolaschwili,  Irma, Mossulischwili,  Micho, Pop,  Traian, Rothfuss,  Uli
Nachwort Micho Mossulischwili wurde am 10. Dezember 1962 im Dorf Araschenda in der ostgeorgischen Provinz Kachetien geboren. Über seine Kindheit, die seine Persönlichkeit und damit auch sein literarisches Schaffen geprägt hat, teilt er mit: „Ist es eine kapitalistische Kindheit oder eine so- wjetische Kindheit? Es ist eine Kindheit und damit Schluss! Ein Kind interessiert sich nicht für das staatliche System oder die Ideologie. Meine Kindheit ist mit zwei Geschehnissen verbunden, aus denen man ersehen kann, warum ich Schriftsteller geworden bin (wenn ich wirklich einer bin). 1. Wenn in meiner Kindheit irgendeine Frau mit Kopftuch zu uns gekommen ist, forderte ich sofort, dass sie es abnehme. Tat sie es nicht, fing ich an zu weinen. Das setzte ich so lange fort, bis die erstaunten und völlig durcheinander gekommenen Frauen ihr Kopftuch abnahmen. Meine Mutter beruhigte sie immer wieder und erklärte ihnen, dass ich sogar sie von Anfang an mit Kopftuch nicht ertragen konnte und immer forderte, dass sie es abnehme. Später, als ich älter wurde, versteckte ich die Kopftücher meiner Mutter, damit sie sie nicht tragen könne. Wenn ich auch jetzt eine Frau mit Kopftuch sehe, wird mein Herz in negative Schwingungen versetzt und ich bin nahe daran, sie zu bitten, ihr Kopftuch abzunehmen und Haare und Gesicht zu zeigen, weil das der schönere Teil der Menschheit ist. Dieses kleine Detail, dass ich bei den Frauen das Kopftuch nicht ertragen konnte, weil es ihre Schönheit bedeckt, war – wie ich erst später begriffen habe, als ich groß geworden war – ein Anstoß dazu, mich so zu benehmen, dass ich den Frauen gefalle. Nach meiner damaligen Beobachtung schmeicheln die Männer den Frauen so, wie sie es nur können, um bei ihnen anzukommen, durch ihr Benehmen oder durch irgendwelche Aktionen. Dadurch habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was ich machen könnte, um den Frauen zu gefallen. Blumen bringen? Natürlich! Aber ich habe auch entdeckt, dass ich Lebensereignisse gut beschreiben konnte. Ich konnte sogar solche Ereignisse erfinden und die Stimmen der Menschen in ihnen hören. Dass ich schreibe, soll man so verstehen, dass ich damit den Frauen als dem schöneren Teil der Menschheit gefallen möchte. Ich denke ständig, dass mir dies bis jetzt nicht völlig gelungen ist. Und deshalb versuche ich immer wieder, neue Sachen zu schreiben … 2. Seit meiner Kindheit begleitet mich noch eine andere außergewöhnliche Schönheit, die meine Seele immer nach oben brachte. Das war die Musik. Aber die Sache mit der Musik war komplizierter. Es gab eine Art von Musik, die ich nicht leiden konnte und vor der ich wegrannte. Ich schaltete entweder das Radio aus oder verließ das Zimmer, um sie nicht hören zu müssen. So sehr missfiel sie mir. Aber es gab auch die andere Art der Musik. Wenn meine Seele sie hörte, flog sie hoch und begann sich frei zu bewegen in irgendwelchen wunderschönen Gefilden, oder sie flog um seltsam stehende und seltsam sprechende Menschen herum. Das gefiel ihr sehr. Bevor ich anfing zu studieren und dabei Erzählungen zu schreiben, wusste ich nicht, warum ich einen so seltsamen Bezug zur Musik hatte. Als ich versuchte, meinen eigenen Prosastil zu finden, las ich viele Schriftsteller. Ich erlernte meinen Schreibstil von ihnen und schrieb sogar ganze Seiten bei ihnen ab, um zu verstehen, wie sie schrieben. Einige Schriftsteller standen mir nahe und von einigen wollte ich wegrennen. Hier passierte mir dasselbe wie mit der Musik, als ich klein war. Aber während ich damals nicht verstehen konnte, was mit mir los war, habe ich beim Studium der Schriftsteller folgendes verstanden: Mir steht Hermann Hesse nahe, und weit weg steht Thomas Mann. Mir steht Akutagawa nahe, und weit weg steht Kawabata. Mir steht Dostojewskij nahe, und weit weg steht Tolstoj. Mir steht Wascha Pschawela nahe, und weit weg steht Ilia Tschawtschawadze. Dabei bedeutet das überhaupt nicht, dass Thomas Mann, Kawabata, Tolstoj und Ilia Tschawtschawadze schlechte Schriftsteller seien. Sie stehen einfach weit weg von meiner inneren Natur. Später, als ich begriffen hatte, dass der Rhythmus eines jeden Werks von Musik beeinflusst ist, entdeckte ich, dass Hermann Hesses Schreibrhythmus durch Mozarts und Bachs Musik bedingt ist, und nicht beispielsweise durch Beethoven, Haydn oder Schumann. Der Rektor des Staatlichen Tifliser Konservatoriums, Professor Nodar Gabunia, hat einmal in einem Interview gesagt: ‚Von den Romantikern stehen mir Schubert und Schumann am nächsten. Meine Natur als Musiker ist fest geradeaus, nicht biegsam oder geschmeidig. Wenn wir das mit den Tieren vergleichen, habe ich wenig von der Natur der Katze in mir, mehr von der des Hundes. Die Beweglichkeit der Katze findet sich bei Mozart und Chopin, eine einschmeichelnde Beweglichkeit. Du beobachtest die Konturen und siehst keine Ecke. Bei Haydn, Beethoven und Schumann sind diese Ecken sichtbar. Ich spiele zwar selbstverständlich auch Chopin. Ich habe es aber immer vermieden, ihn auf der Bühne zu spielen, weil ich immer argwöhnte, dass es nicht das war, was es sein sollte. Ich habe auch Mozart nicht so oft gespielt. Viel lieber spielte ich Haydn, Beethoven, Schubert …‘ Das heißt, dass die (ja auch in der Psychologie bekannte) Einteilung in Katzen und Hunde ebenso wie bei den großen Komponisten auch bei den gewöhnlichen und ungewöhnlichen Menschen besteht. Hermann Hesse zum Beispiel ist eine Katze (sein autobiographischer Held Harry Haller aus dem Roman „Steppenwolf“ klammert sich in einem seiner Zauberträume an die langen Haare Mozarts und so schaukelt er auch in der Welt herum …) und Thomas Mann ist ein Hund. Katzen sind Bach, Mozart und Chopin. Hunde sind Beethoven, Haydn, Schubert und Schumann. Eine Katze ist Don Quijote und ein Hund Sancho Panza. Als ich diese psychologische Einteilung fand und mich daran erinnerte, dass ich nach dem orientalischen Kalender ein Tiger bin (da ich 1962 geboren wurde), d.h. dass ich eine Katze bin, entdeckte ich auch, dass ich seit meiner Kindheit den Katzen-Komponisten viel näher stehe. Es machte mich glücklich sie zu hören, während ich vor den Hunde-Komponisten wegrannte. Später passierte mir genau dasselbe mit der Literatur. Seitdem weiß ich, wie ich meine Werke schreiben soll. Der Stil eines jeden meiner Werke ist durch einen Komponisten oder eine Musik des Katzentyps bedingt: elastisch, knapp und ungezwungen. An diesem Zyklus von Miniaturen habe ich zum Beispiel mein ganzes Leben lang geschrieben. Ihnen liegen einzelne musikalische Phrasen von Komponisten zu Grunde. Wenn man einzelne Ausschnitte spielt, ohne sie zu beenden, und dann zu den nächsten übergeht, entsteht am Ende ein Mosaik … Was ich schreibe, kommt nicht aus anderer Literatur oder ist von anderen Schriftstellern beeinflusst, sondern ist im Grunde der Musik entnommen. Genauso suche ich immer wieder „meine Katzen-Maler“ für visuelle Vorstellungen und versuche dann, etwas zu schreiben. Diesen Zugang zur Literatur verursachten die in der Kindheit angehörten Musikarten: vor der einen bin ich weggerannt, die andere habe ich immer wieder gesucht.“ Nach der Schulzeit entschied sich Micho Mossulischwili für das Studium der Geologie und Geographie, das er 1981-1986 an der Universität von Tiflis absolvierte. Im Nebenfach studierte er Kinodramaturgie. Schon zu dieser Zeit war er schriftstellerisch tätig. Für das Studium der Geologie hatte er sich entschieden, um finanziell unabhängig zu sein und damit seinen literarischen Neigungen besser nachgehen zu können. In der Sowjetunion war es nicht leicht, als Literat zu leben, wenn man nicht vollständig mit dem System übereinstimmte. Im letzteren Falle musste man längere Zeit auf die Veröffentlichung seiner Werke (und damit auf die davon abhängenden Honorare) warten. Micho Mossulischwili bemerkt dazu: „So wie meine anderen Freunde dachte auch ich, dass Literatur und auch die anderen Kunstrichtungen nicht eingeschränkt werden sollten. Sie dürfen auf keinen Fall einer Ideologie hörig sein. Sonst verschwindet beim Verschwinden der Ideologie auch das Interesse am Werk.“ Aber es kam noch ein anderer Aspekt hinzu: „Ich frage mich: Was willst du eigentlich bei der Geologie? Warum wolltest du das lernen und später darin arbeiten? Auch heute denke ich genau dasselbe wie damals: Das Leben der Geologen ist das Leben von Wandernden und Reisenden. Wer danach strebt, viel zu sehen, blickt dabei nicht nur in die geographische Landschaft und zu den dort lebenden Menschen, sondern auch in die Tiefe der Erde und der Vergangenheit.“ Seine erste Novelle „Der Waldmann“ schrieb er bereits 1982. Sie wurde 1984 in der angesehenen traditionsreichen, 1852 gegründeten literarischen Zeitschrift „Ziskari“ veröffentlicht. Während des Studiums absolvierte er im Sommer 1985 ein geologisches Praktikum in der Berg-Region Ratscha im mittleren georgischen Kaukasus-Gebiet, das er sehr genoss. Ein Jahr später schloss er das Studium ab und wurde danach als Geologe bei der Georgischen Geologisch-Geophysikalischen Gesellschaft angestellt. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde er in der nordöstlich gelegenen Bergregion Pschawi eingesetzt, der Heimat des von ihm verehrten georgischen Schriftstellers Wascha Pschawela. Die Arbeit begann im Frühling. Sie zogen mit Zelten und Ausrüstung über Wiesen und Felder, nahmen Gesteinsproben und erstellten Pläne über mögliche Rohstoffvorkommen. „Diese Beschreibungen wurden auf Russisch verfasst und an das Ministerium für Bergbau der Sowjetunion geschickt.“ Die Tätigkeit war interessant und voller unerwarteter Begebenheiten. „Ich hatte alltägliche Beziehungen zu den Einheimischen in Pschawi. Ich schrieb alles in meinem Notizbuch auf, was sie mir erzählten. Die Pschawier sprachen in ihrem eigenen Dialekt, der vielleicht nicht nur ein Dialekt ist, weil diese Sprache eigentlich das Altgeorgische bewahrt hat. In diesem Dialekt schrieb der große Wascha Pschawela, dessen Werke sehr viel Gemeinsames mit Goethe, vor allem dessen Faust, haben, was ein eigenes Thema für die Literaturwissenschaft sein könnte. Für mich als Schriftsteller war die Erfahrung als Geologe in Pschawi, wo man heute noch Wascha Pschawelas Sprache spricht, äußerst fruchtbar. Dem Leben „in dieser Ecke“ fühlte ich mich sehr verbunden. Mein Notizbuch ist voller Anmerkungen zu dem, was ich dort gehört habe. Ich schrieb ganze Tagebücher und bewahrte sie auf, was ich später gut in Erzählungen verarbeiten konnte.“ 1987 heiratete er. Der Ehe entstammt eine Tochter. 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das geologische Institut in Tiflis aufgelöst und die dort beschäftigten Geologen wurden arbeitslos. Die Schwierigkeiten dieser Zeit und der Zerfall der alten Gesellschaft sind in vielen seiner Miniaturen zu spüren. Micho Mossulischwili selbst verdiente seinen Lebensunterhalt nun als Journalist bei verschiedenen Zeitungen, als freier Schriftsteller sowie als Übersetzer von Drehbüchern für die Fernsehproduktion. Daneben übersetzte er auch schöne Literatur, vor allem einige Kriminalromane des bekannten russischen Autors Boris Akunin. Zum Untergang des sowjetischen Imperiums und der Rolle Georgiens bemerkt er: „Was fühlte ich, als die Sowjetunion zusammenbrach? Ich wusste, dass es ein Land mit einer wackligen Ideologie war, die den Menschen vergessen hatte und aus den Menschen kommunistische Drachen gemacht hatte. Sie wäre auf jeden Fall auseinandergebrochen. Es gab keinen anderen Weg. Aber ich war sehr traurig, dass mein kleines Land und meine kleine Familie in den Trümmern dieses großen Imperiums verschüttet waren. Ich denke auch jetzt, dass wir uns immer noch zwischen den Trümmern des russischen Imperiums befinden und dass Russland mit seinen schleichenden Okkupationen gegen uns kämpft, dass es mit den von ihm finanzierten Gruppen und Fernsehsendern – soweit es die internationale Gemeinschaft zulässt – daran arbeitet, uns zu zähmen und wieder in sein erneuertes und modernisiertes Imperium hineinzubringen.“ Micho Mossulischwili ist heute ein äußerst fruchtbarer Autor, der vor allem auf den Gebieten der Prosa und des Dramas tätig ist. Seine Novellen und Romane sind oft auf den georgischen Bestsellerlisten zu finden, seine Theaterstücke werden an allen namhaften Theatern Georgiens gespielt, darunter auch am Akademischen Schota-Rustaweli-Theater in Tbilissi, dem ersten Theater Georgiens. Er wird häufig mit Preisen ausgezeichnet, national wie international. In Deutschland ist vor allem seine Kriminalsatire in einem Akt „Weihnachtsgans mit Quitten“ bekannt geworden, die humorvoll Kritik an der modernen Konsumgesellschaft übt. Einen Bezug zu Deutschland hat auch sein Roman „Flug ohne Fass“, in dem es – unter Anspielung auf den Fassritt Mephistos und Fausts in Auerbachs Keller – um das halblegale Dasein dreier georgischer Emigranten in deutschen Flüchtlingslagern und allgemein ihr Schicksal in Deutschland zusammen mit ein paar nigerianischen Gaunern geht. Micho Mossulischwili greift die unterschiedlichsten Themen in seinen Werken auf. Sein Interesse endet nicht an den Grenzen Georgiens. Wir werden noch viel von ihm erwarten können. Joachim Britze
Aktualisiert: 2023-06-27
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Das Dreieck der Kraniche

Das Dreieck der Kraniche von Barbakadse,  Dato, Chotiwari-Jünger ,  Steffi, Uli,  Rothfuss
Dato Barbakadse (* 1966 in Tbilissi), Schriftsteller, Essayist und Übersetzer, Magister der Philosophie. Von 1991 bis 2001 Lehraufträge an den verschiedenen Hochschulen in Tbilissi, Gründung und Leitung mehrerer georgischsprachiger Literatur-Zeitschriften. 2002-2005 lebte er als freier Schriftsteller in Deutschland, Studium der Philosophie, Soziologie und Alten Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 2007 ist er Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung „Die Kogge“, seit 2014 Mitglied des österreichischen P. E. N. Zahlreiche Texte von Dato Barbakadse sind ins Deutsche, Englische, Französische und Russische übersetzt worden. Er selber übersetzt deutschsprachige Lyrik ins Georgische. Seine Übersetzungen von Hans Arp, Georg Trakl, Paul Celan, H. M. Enzensberger, Ernst Meister, Günter Eich und anderen Autoren sind in einzelnen Bänden publiziert. 2005 gründete er das Buchreiheprojekt Österreichische Lyrik des 20. Jahrhunderts (in dreißig Bänden) in Tbilissi. Er hat mehrere Preise und Stipendien für seine literarische und übersetzerische Tätigkeit erhalten, die über zwanzig Buchveröffent-lichungen und zahlreiche Beiträge in diversen literarischen Zeitschriften und Anthologien umfaßt. Dato Barbakadse lebt und arbeitet in Tbilissi. Trotzt aller Anerkennung durch die Literaturkritik gilt er als ein Außenseiter in der Georgischen Literatur. Die komplizierten und nicht als Dekoration gedachten Sprachspiele, die dem Verfahren des Autors zugrunde liegen, problematisieren die derzeitige Lage der Dichtung – nicht nur in Georgien. Der Autor betrachtet die Poesie als ein Schicksal, welches das Leben eines Menschen wesentlich bestimmt und ihn ein unkonventionelles Leben führen läßt. Alle sonstige Literatur, die übrig –, also außerhalb des Geistes der Poesie, bliebe, sei kreatives Schreiben und nichts anderes. Das Schema dieser Unterteilung gelte unterschiedslos in jedem Jahrhundert, ganz unabhängig von irgendwelchen sozio-kulturellen Kontexten. Den Vorwurf, seine Position sei radikal, weist Barbakadse zurück; vielmehr betrachtet er sein Verfahren als die adäquate Reaktion eines dem Geist der Poesie treu gebliebenen Dichters auf die zunehmend radikale Entwicklung der Realität, die immer stärker zur Preisgabe des Willens zur Freiheit tendiere.
Aktualisiert: 2023-05-31
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An Verse geheftet

An Verse geheftet von Seiler,  Hellmut
HELLMUT SEILER, geb. 19. April 1953 in Reps/Rupea in Siebenbürgen, studierte von 1972 bis 1976 Germanistik und Anglistik in Hermannstadt/Sibiu, danach Deutschlehrer in Neumarkt/Târgu-Mureş. 1985–88 Berufs- und Publikationsverbot. 1988 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, Gymnasiallehrer bis 2018. Initiator des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises. Veröffentlichungen: die einsamkeit der stühle. Gedichte. ­Cluj-Napoca: Dacia 1982, siebenbürgische endzeitlose. Gedichte. Frankfurt am Main: dipa 1994, Der Haifisch in meinem Kopf. Erzählungen. Künzelsau: Swiridoff 2000, Schlagwald, Grenzen, Gänge. 77 Gedichte und Exkurse. München: Lyrikedition 2000 2001, Glück hat viele Namen. Fünf Satiren. Esslingen/Neckar: Die Künstlergilde 2003, An Verse geheftet. 77 Gedichte und Inter­mezzi samt einem Epilog. Ludwigsburg: Pop 2007, Dieser trotzigen Ruhe Weg. Gedichte und Aphorismen. Norderstedt: Books on Demand 2017, Gnomen. Gedankensplitter und lyrische Launen. edition offenes feld, Dortmund 2020, Schwebezustand Melencolia. Gedichte. edition offenes feld, Dortmund 2021, Schwebebrücken aus Papier. Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart (als Herausgeber und Übersetzer), Edition Noack&Block, Berlin 2021. Stipendiat des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg (1989, 1992), des Writers’ and Translators’ Centre of Rhodes (2000), Würth-Literaturpreis 2000. Prosapreis Künstlergilde Esslingen (1998), Lyrikpreis Künstlergilde Esslingen (1999), Würth-Literaturpreis der Tübinger Poetik-Dozentur (2000), Writer in Residence im International Writers‘ and Translators‘ Centre of Rhodos (2000), Irseer Pegasus (2003), Mitglied im Internationalen P.E.N. (2014–2021 Generalsekretär des „Internationalen EXIL-P.E.N. – Sektion Deutschsprachige Länder“), Mitglied im Rumänischen Schriftstellerverband (USR). Lieferbare Titel von Hellmut Seiler: “Heimkino, bei mir” .Gedichte, aus dem Rumänischen übersetzt von Hellmut Seiler Mit einem Nachwort von Traian Pop Traian.82 Seiten, ISBN 978-3-937139-70-8. €[D]14,50 „Heimkino, bei mir.“ Vorzugsausgabe. Gedichte, aus dem Rumänischen übersetzt von Hellmut Seiler. Mit einem Nachwort von Traian Pop Traian.82 Seiten, ISBN 978-3-937139-70-8. €[D]14,50 die bewegung der antillen unter der schädeldecke. junge rumäniendeutsche lyrik zwischen 1975 und 1980. Richard Wagner | Werner Söllner | Rolf Bossert | Franz Hodjak | William Totok | Hellmut Seiler | Klaus Hensel | Horst Samson | Helmut Britz | Johann Lippet. Eine (historische) Anthologie. herausgegeben von Walter Fromm. Erweiterte, kritische Neuauflage 2022. mit einem einleitenden Essay von Prof. Dr. Waldemar Fromm und einer soziokulturellen Kontextualisierung von Prof. Dr. Anton Sterbling. Reihe Lyrik Bd. 171 . 128 S., ISBN: 978-3-86356-350-9, €[D] 23,00.
Aktualisiert: 2023-05-31
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Kritische Körper

Kritische Körper von Bergmann,  Ulrich, Pop,  Traian
Ulrich Bergmann, *1945 in Halle an der Saale, lebt in Bonn. Seit 1988 veröffentlicht er seine zyklischen Erzählungen, Essays, Porträts, Rezensionen, Theaterkritiken, Aphorismen, Gedichte, Mail Art und visuelle Poesie in Almanachen, Anthologien und Literaturzeitschriften in Deutschland, Österreich, Belgien, Rumänien und in der Schweiz. Redakteur und Mitherausgeber der Bonner Literaturzeitschrift Dichtungsring, Redakteur des Kölner Internet-Magazins Philotast. 2012 erschien in Bonn sein erster Roman: Doppelhimmel (2. Aufl. 2013).
Aktualisiert: 2023-05-31
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deichgraf meiner selbst

deichgraf meiner selbst von Ferdinand,  Wedler, Pop,  Traian, Wedler,  Wedler
Wedlers Gedichte sind von Neugier auf alle Realien des Lebens wie von poetischer Experimenturlust geprägt. Jürgen Engler Schwarz-Weiß-Fotografie kann in ihrer Formensprache so eindringlich sein, dass man beginnt, die Bilder mit den Augen Zeile für Zeile abzutasten, damit einem kein Detail, keine Korres- pondenz der Formen und Linien entgeht: So aufmerksam schaut man nicht auf die eigene Umgebung, solches können die eigenen Augen nicht sehen. Carsten Sternberg
Aktualisiert: 2023-05-31
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Das Dreieck der Kraniche

Das Dreieck der Kraniche von Barbakadse,  Dato, Chotiwari-Jünger ,  Steffi, Uli,  Rothfuss
Dato Barbakadse (* 1966 in Tbilissi), Schriftsteller, Essayist und Übersetzer, Magister der Philosophie. Von 1991 bis 2001 Lehraufträge an den verschiedenen Hochschulen in Tbilissi, Gründung und Leitung mehrerer georgischsprachiger Literatur-Zeitschriften. 2002-2005 lebte er als freier Schriftsteller in Deutschland, Studium der Philosophie, Soziologie und Alten Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 2007 ist er Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung „Die Kogge“, seit 2014 Mitglied des österreichischen P. E. N. Zahlreiche Texte von Dato Barbakadse sind ins Deutsche, Englische, Französische und Russische übersetzt worden. Er selber übersetzt deutschsprachige Lyrik ins Georgische. Seine Übersetzungen von Hans Arp, Georg Trakl, Paul Celan, H. M. Enzensberger, Ernst Meister, Günter Eich und anderen Autoren sind in einzelnen Bänden publiziert. 2005 gründete er das Buchreiheprojekt Österreichische Lyrik des 20. Jahrhunderts (in dreißig Bänden) in Tbilissi. Er hat mehrere Preise und Stipendien für seine literarische und übersetzerische Tätigkeit erhalten, die über zwanzig Buchveröffent-lichungen und zahlreiche Beiträge in diversen literarischen Zeitschriften und Anthologien umfaßt. Dato Barbakadse lebt und arbeitet in Tbilissi. Trotzt aller Anerkennung durch die Literaturkritik gilt er als ein Außenseiter in der Georgischen Literatur. Die komplizierten und nicht als Dekoration gedachten Sprachspiele, die dem Verfahren des Autors zugrunde liegen, problematisieren die derzeitige Lage der Dichtung – nicht nur in Georgien. Der Autor betrachtet die Poesie als ein Schicksal, welches das Leben eines Menschen wesentlich bestimmt und ihn ein unkonventionelles Leben führen läßt. Alle sonstige Literatur, die übrig –, also außerhalb des Geistes der Poesie, bliebe, sei kreatives Schreiben und nichts anderes. Das Schema dieser Unterteilung gelte unterschiedslos in jedem Jahrhundert, ganz unabhängig von irgendwelchen sozio-kulturellen Kontexten. Den Vorwurf, seine Position sei radikal, weist Barbakadse zurück; vielmehr betrachtet er sein Verfahren als die adäquate Reaktion eines dem Geist der Poesie treu gebliebenen Dichters auf die zunehmend radikale Entwicklung der Realität, die immer stärker zur Preisgabe des Willens zur Freiheit tendiere.
Aktualisiert: 2023-05-31
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An Verse geheftet

An Verse geheftet von Seiler,  Hellmut
HELLMUT SEILER, geb. 19. April 1953 in Reps/Rupea in Siebenbürgen, studierte von 1972 bis 1976 Germanistik und Anglistik in Hermannstadt/Sibiu, danach Deutschlehrer in Neumarkt/Târgu-Mureş. 1985–88 Berufs- und Publikationsverbot. 1988 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, Gymnasiallehrer bis 2018. Initiator des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises. Veröffentlichungen: die einsamkeit der stühle. Gedichte. ­Cluj-Napoca: Dacia 1982, siebenbürgische endzeitlose. Gedichte. Frankfurt am Main: dipa 1994, Der Haifisch in meinem Kopf. Erzählungen. Künzelsau: Swiridoff 2000, Schlagwald, Grenzen, Gänge. 77 Gedichte und Exkurse. München: Lyrikedition 2000 2001, Glück hat viele Namen. Fünf Satiren. Esslingen/Neckar: Die Künstlergilde 2003, An Verse geheftet. 77 Gedichte und Inter­mezzi samt einem Epilog. Ludwigsburg: Pop 2007, Dieser trotzigen Ruhe Weg. Gedichte und Aphorismen. Norderstedt: Books on Demand 2017, Gnomen. Gedankensplitter und lyrische Launen. edition offenes feld, Dortmund 2020, Schwebezustand Melencolia. Gedichte. edition offenes feld, Dortmund 2021, Schwebebrücken aus Papier. Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart (als Herausgeber und Übersetzer), Edition Noack&Block, Berlin 2021. Stipendiat des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg (1989, 1992), des Writers’ and Translators’ Centre of Rhodes (2000), Würth-Literaturpreis 2000. Prosapreis Künstlergilde Esslingen (1998), Lyrikpreis Künstlergilde Esslingen (1999), Würth-Literaturpreis der Tübinger Poetik-Dozentur (2000), Writer in Residence im International Writers‘ and Translators‘ Centre of Rhodos (2000), Irseer Pegasus (2003), Mitglied im Internationalen P.E.N. (2014–2021 Generalsekretär des „Internationalen EXIL-P.E.N. – Sektion Deutschsprachige Länder“), Mitglied im Rumänischen Schriftstellerverband (USR). Lieferbare Titel von Hellmut Seiler: “Heimkino, bei mir” .Gedichte, aus dem Rumänischen übersetzt von Hellmut Seiler Mit einem Nachwort von Traian Pop Traian.82 Seiten, ISBN 978-3-937139-70-8. €[D]14,50 „Heimkino, bei mir.“ Vorzugsausgabe. Gedichte, aus dem Rumänischen übersetzt von Hellmut Seiler. Mit einem Nachwort von Traian Pop Traian.82 Seiten, ISBN 978-3-937139-70-8. €[D]14,50 die bewegung der antillen unter der schädeldecke. junge rumäniendeutsche lyrik zwischen 1975 und 1980. Richard Wagner | Werner Söllner | Rolf Bossert | Franz Hodjak | William Totok | Hellmut Seiler | Klaus Hensel | Horst Samson | Helmut Britz | Johann Lippet. Eine (historische) Anthologie. herausgegeben von Walter Fromm. Erweiterte, kritische Neuauflage 2022. mit einem einleitenden Essay von Prof. Dr. Waldemar Fromm und einer soziokulturellen Kontextualisierung von Prof. Dr. Anton Sterbling. Reihe Lyrik Bd. 171 . 128 S., ISBN: 978-3-86356-350-9, €[D] 23,00.
Aktualisiert: 2023-05-31
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Kritische Körper

Kritische Körper von Bergmann,  Ulrich, Pop,  Traian
Ulrich Bergmann, *1945 in Halle an der Saale, lebt in Bonn. Seit 1988 veröffentlicht er seine zyklischen Erzählungen, Essays, Porträts, Rezensionen, Theaterkritiken, Aphorismen, Gedichte, Mail Art und visuelle Poesie in Almanachen, Anthologien und Literaturzeitschriften in Deutschland, Österreich, Belgien, Rumänien und in der Schweiz. Redakteur und Mitherausgeber der Bonner Literaturzeitschrift Dichtungsring, Redakteur des Kölner Internet-Magazins Philotast. 2012 erschien in Bonn sein erster Roman: Doppelhimmel (2. Aufl. 2013).
Aktualisiert: 2023-05-31
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deichgraf meiner selbst

deichgraf meiner selbst von Ferdinand,  Wedler, Pop,  Traian, Wedler,  Wedler
Wedlers Gedichte sind von Neugier auf alle Realien des Lebens wie von poetischer Experimenturlust geprägt. Jürgen Engler Schwarz-Weiß-Fotografie kann in ihrer Formensprache so eindringlich sein, dass man beginnt, die Bilder mit den Augen Zeile für Zeile abzutasten, damit einem kein Detail, keine Korres- pondenz der Formen und Linien entgeht: So aufmerksam schaut man nicht auf die eigene Umgebung, solches können die eigenen Augen nicht sehen. Carsten Sternberg
Aktualisiert: 2023-05-31
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Käme ein Wort.

Käme ein Wort. von Hehn,  Ilse, Merkel,  Anneliese
Anneliese Merkels Gedichte tasten ihr Umfeld ab, mit einer Genauigkeit der Beobachtung, die betroffen macht. Man sieht sich zu einem neuen Hinsehen be- wogen. Auch wo ihre Wahr- nehmung auf Vertrautes trifft, gibt sie diesem einen Hauch von Fremdheit. Ihre Verse bestechen durch einen unterkühlten Ton und, bei allem Beteiligtsein, durch eine merkwürdig dis- tanzierte Beziehung zu den Din- gen. Hellmut Seiler
Aktualisiert: 2023-05-30
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Das Buch Luzius. Märchen und andere Wahrheiten. Erzählungen. Illustrierte Ausgabe.

Das Buch Luzius. Märchen und andere Wahrheiten. Erzählungen. Illustrierte Ausgabe. von Schmidt,  Libuse, Török,  Imre
Dieses Buch erzählt von einer Prinzessin, von einem Nomaden und noch viel mehr von wunderlichen und gefährlichen Abenteuern eines neugierigen Glühwürmchens namens Luzius. Wird hier für wahr kindlich Fabelhaftes aufgetischt? Mag zuweilen so scheinen. Doch dessen sicher sollte niemand sein. Denn was ist schon wahr, nicht wahr?
Aktualisiert: 2023-05-30
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Der Tag des Menschen

Der Tag des Menschen von Guguschwili,  Badri, Lisowski,  Maja
Vorwort Am Ende der 1980er Jahren ist man in Georgien (und wahrscheinlich auch im heutigen Georgien) den meisten Menschen mit dem Wunsch, ein Dichter zu sein, mit Ironie begegnet. Das sieht heute banal aus, und keiner denkt mehr daran, dass diese Wahl damals dramatisch, oder schlimmer, tragisch hätte werden können. Aber bis dahin, nur ein paar Jahrzehnte vorher, hatte das Land jene Phase durchlebt, in der das Dichter-Sein noch mit dem Tod bestraft wurde, und in der das totalitäre System einen Dichter entweder unterwürfig machte oder ihn tötete oder ihn erst unterwürfig machte und dann tötete. Als Gegenleistung für seine Wahl erwartete auch Badri Guguschwilis der Tod: aber nicht unmittelbar durch den Staat, sondern durch seine eigene Hand, wie ein durch eine transzendentale Tragik bedingtes Schicksal seiner seelischen Suche. Seine persönlichen Erfahrungen waren damals selbstverständlich durch die Erfahrungen und die Realität des Landes noch verschärft. Als er sich am Ende der 1980er Jahre für das Dichtertum, für das Dichter-Sein entschied, bedeutete diese Entscheidung in Georgien noch immer moralische Kompromissbereitschaft oder eben Kompromisslosigkeit gegenüber dem Sowjetsystem. Aber sehr bald wurde es schon möglich, Gedichte, ohne die Erlaubnis des Staates, nicht nur zu schreiben, sondern auch zu veröffentlichen. Fast bis zum Ende der 1980er Jahre hätte sich niemand im Land vorstellen können, dass es jemanden nicht nur gelingen würde, sich Dichter zu nennen, sondern auch noch eigene Gedichte veröffentlichen konnte. Bis dahin hatte immer der Staat den Status eines Dichters vergeben und erst danach die Gesellschaft. Ein Mann, der schon Mitte dreißig war und einen handfesten Beruf als Bauingenieur hatte, und der bis dahin noch nichts nach den Sowjetregeln unternommen hatte, um den offiziellen Status eines Dichters oder irgendeine offizielle Position zu bekommen, dieser Mann konnte erst dann als Dichter vor die Gesellschaft treten und einen eigenen Gedichtband in der Hand halten, wenn er selbst dazu beitrug, das sowjetische System zu zerstören. Anfang der 1990er Jahre geschah eben dies, und Badri Guguschwili wurde Dichter. Von 1990 bis 1993 veröffentliche er fünf seiner Bücher, lebte einige Jahre als Dichter, gewann andere Dichter als Freunde und starb als Dichter, als er 1996 seinem Leben eigenhändig ein Ende setzte. Anfang der 1990er Jahre ähnelte das Leben des Dichters sehr dem, was auch Georgien während des Modernismus zwischen den Jahren 1910 - 1920 erlebt hatte, und absolut nicht mehr dem, was in den Jahrzehnten der Sowjetregierung geschah, insbesondere während Badri Guguschwilis Jugend in den 1970 - 1980er Jahren. Zu jener Zeit wurde kein Dichter mehr von Staat als Mitglied im Schriftstellerverband aufgenommen, kein Auto und keine Wohnung wurden mehr zur Verfügung gestellt, es gab auch keine regelmäßigen Buch-Veröffentlichungen mehr, es wurde nicht mehr nach einer persönlichen oder schöpferischen Aufgabe verlangt. So ein Staat, die UdSSR, existierte einfach nicht mehr. Nun steckte der neue wieder unabhängige georgische Staat, versunken im Chaos des Bürgerkriegs, ethnischer Probleme, Kriminalität, des wirtschaftlichen und energetischen Zusammenbruchs, in ganz anderen Schwierigkeiten. Für Dichter gab es da keinen Platz mehr, weder für alteingesessene noch für ganz neue. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Badri Guguschwili wie ein Dichter. Er war allein. Er hatte aber einige Dichterfreunde, die sich die gleichen Prioritäten setzten wie er. Es gab keinen, der ihm bei seinen materiellen Problemen hätte helfen können. In diesen Jahren litten alle: er, seine Freunde, sein ganzes Land. Guguschwili veröffentlichte seine Gedichte in jenen Zeitschriften und nahm an jenen Videoveranstaltungen teil, deren Gründung wenige Jahre zuvor schier unmöglich gewesen wäre: „Polylog“, „Dato Barbakadses Zeitschrift“, usw. Darüber hinaus hätte es auch keine Selbst-Veröffentlichtungen seiner Bücher gegeben. Viel wichtiger ist hingegen, mit seinen Gedichten machte er seinerseits eine bewusste Wahl in Richtung der modernen Poesie, des schöpferischen Suchens und des Wachstums und entwickelte sich dadurch zu einem professionellen Dichter. Dies geschah im Unterschied zu den anderen hunderten georgischen Poesie-Liebhabern, die ihre naiven realistisch-patriotischen Gedichte ebenfalls drucken ließen, als sie die Möglichkeit dazu bekamen und auch im Unterschied zu den anderen Dichtern seiner Zeit, die versuchten, die georgische Gesellschaft für die zeitgenössische westliche Poesie zu interessieren. Badri Guguschwili hätte jedoch weder die Mission eines Kulturträgers erfüllen können, noch hatte er dies jemals versucht, konnte aber klar und deutlich sehen, vor welcher Wahl damals ein Dichter stand, als sich die gegebenen Kulturbarrieren gerade lösten. Er ließe sich nicht als Sowjetdichter bezeichnen, nicht nach dem Begriff der politischen und sozialen Konnotationen, obwohl er im postsowjetischen Georgien oder generell in jeder Zeit, durchaus als Symbol eines siegreichen oder geschlagenen Dichters gelten könnte, der sich auf den Weg seiner seelischen oder schöpferischen Suche gemacht hatte. Badri Guguschwilis Gedichte sprechen in Georgien heutzutage jenen kleinen Kreis der Leser an, die sich für unkonventionelle Gedichte und die Existenz der Erfahrungen expressionistischer Selbstdarstellung in der georgischen Poesie interessieren. Mit der Zeit wächst auch das Interesse für die transitive Periode am Anfang der 1990er Jahre, was auch Badri Guguschwilis Poesie stärkere Aufmerksamkeit verschafft. An seine Poesie und seine Persönlichkeit erinnern sich seine Freunde, die noch heute ihr eigenes dichterisches Leben weiterleben. 2013 wurde in Tbilissi eine neue Auflage von Guguschwili „Die Königin des Fleisches“ herausgegeben. Sein Freund Dato Barbakadse, dem der Durchbruch in Westeuropa gelungen ist, hat dem deutschen POP-Verlag die Herausgabe dieser Texte empfohlen. Schließlich wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf den bekanntesten Text des Autors lenken, „Die Königin des Fleisches“, der 1993 zum ersten Mal gedruckt wurde. Hinsichtlich des Formates ähnelt der Text einem Poem. Es ist ein unkonventionelles, freies Gedicht. Dem Genre nach besitzt es einen panegyrischen, hoch pathetischen Stil und gibt die Strukturen einer Ode wieder. Der Untertitel des Poems, „Die Muse des Fleisches“ erinnert uns an die antike Tradition des Lobes einer Muse oder einer Göttin. Es ist jedoch sehr offensichtlich, dass es sich hier um einen negativen Panegyrikos handelt, der sich als Ziel gesetzt hat, jenes zu offenbaren, was er hier der Form nach lobt. Durch die gegenfunktionale Anwendung des Prinzips des klassisch-klassizistischen Poesiegenres und der dichterischen Tradition versucht er eine Annäherung an den postmodernistischen Kulturkontext zu erzeugen. Die Konflikte zwischen den seelischen und fleischlichen anatomischen Konzepten führen uns aber zu der Anerkennung des Portraits des seelischen Lebens und dementsprechend zum christlichen Kontext. In den christlichen Texten georgischer Tradition bedeutet „Fleisch“ eindeutig den physischen Körper und in der materiellen Welt mit diesem Körper ein „fleischliches“ Leben. Jesus Christus wurde durch seine Menschwerdung fleischlich, zog sich an und eignete sich zusammen mit dem Fleisch auch die menschliche Natur gänzlich an, -außer der Sünde natürlich. Bei den Menschen sind die fleischlichen Wünsche jedoch bei der Sünde geblieben: Der Fleisch gewordene Mensch wird von den fleischlichen Wünschen besiegt und lässt ihn das seelische Leben vergessen. In der christlichen Kommunikation ist das Fleisch immer das, was gegen die Seele kämpft, und die seelische Erhabenheit, Reinheit, das Erreichen des ewigen Reiches geschieht nur, wenn man auf fleischliche Wünsche, selbst auf essbares Fleisch verzichtet. Georgische hagiographische Texte lehren uns die physische Qual, das Martyrium und das Ertragen fleischlicher Schmerzen, das „Einengen des Fleisches“. Im 18. Jahrhundert verlangte schon Davit Guramischwili gemäß dem christlichen Bestreben von uns den Verzicht auf Fleisch: Denn das irdische Leben, dieser Aufenthalt ist kurz, „deshalb ist es besser, auf Fleisch zu verzichten, für die Seele zu beten, Messen für sie zu halten.“ Im 19. Jahrhundert sodann schuf Ilia Tschawtschawadse satirische Helden fleischlichen Lebens und wiederholte damit, dass „es dort, wo das Fleisch gedeiht, die Seele verkümmert!“ In Badri Guguschwilis Texten ist die ganze christliche Tradition der symbolischen Bedeutung des „Fleisches“ offensichtlich und dennoch verhüllt in der materialistischen Bedeutung dieses Wortes. Von Zeile zu Zeile ist mal die Sprache christlicher Texte zu hören, mal die rohe Alltagssprache, in der wir uns mit Fleisch sättigen, wo das Fleisch dampft und zu Hauf auf dem Tisch herumliegt, es wird von den Raubvögeln unter sich aufgeteilt. Hier bilden der christliche und der alltägliche Kontext so einem Gegensatz, wie es der christliche Glaube erlaubt. Die symbolisch-allegorische und die Alltagssprache schaffen in den Texten sowohl einen bildhaften Konflikt als auch eine kontextuelle Zustimmung, weil hier zwei Lebensarten, seelische und fleischliche, aufeinandertreffen. Der direkte und konnotierte Kontrast des „Fleisches“ verstärkt die Metapher noch mehr und bringt uns noch näher zu dem religiösen Bewusstsein: ein Mensch ist nichts anderes als Fleisch, der nur des Fleisches wegen lebt und dafür auch stirbt, „Das Fleisch stellt sich in die Reihe des Fleisches an!“ Die Königin des Fleisches ist die Herrscherin der Welt, in der sie „laut lacht“ und der Dichter weint: „Das bist du, meine Königin, die so laut grunzt, du lachst aus vollem Halse, ich sehe das und beneide dich, aus ganzem Herzen beneide ich dich, dich und nur dich, weil du lachst und ich weine!“ Die Interpretation liegt nahe, dass Badri Guguschwilis Poem seine Trauer um die Nichtigkeit des irdischen Lebens zeigt: ein Text, geschrieben am Ende des 20. Jahrhunderts nach der Ästhetik der zeitgenössischen Poesie über die Seele und das Fleisch, über das Vergängliche und das Ewige. Die Spannung wird im Text nicht dadurch aufgebaut, dass der Dichter in der zeitgenössischen Sprache die Re-Affirmation der ewigen Wahrhaftigkeit darstellt, sie immer wieder zu beweisen versucht dadurch, dass uns der zeitgenössische Dichter durch Zweifel und Schmerz zeigen möchte, wovor er selbst Angst hat: Ist vielleicht das Fleisch doch das Ewige? Ist der Kreislauf des Fleisches vielleicht die einzige Wahrheit, von der wir uns nicht loslösen können? Ist die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau wirklich nur, dass „In der Nacht das eine Fleisch neben einem anderen schläft“? Ist denn diese Welt tatsächlich der mit Fleisch bedeckte „Schlachthof der Geschichte“? Ist vielleicht das Gesetz der materiellen Ewigkeit, also die Ewigkeit des Fleisches, hier metaphorisch dargestellt? Und ist gar das Fleisch selbst unser einziger sicherer Hafen im christlichen Sinne, wo wir unseren Anker auswerfen? Ist aus unserem Glaubenssystem nur noch das übriggeblieben, dass wir unseren Fleisch gewordenen Herrn in unsere Dienste stellten? „Wie viele haben sich denn ein einziges Lamm geteilt“? Badri Guguschwilis „Die Königin des Fleisches“ ist ein expressionistischer, kontrastreicher, konfliktbeladener Text: Er zeigt uns den Konflikt zwischen der Seele und dem Fleisch; den Konflikt eines fleischlichen Menschen mit der fleischlichen Welt, in der er eingesperrt ist. So zeigt er uns den kulturellen Konflikt, den Konflikt des Massengeschmacks des damaligen Georgiens und die Tendenz der dominanten Darstellung der unmittelbaren Vergangenheit, was die realistisch-pathetische Repräsentation georgischer Ideale bedeutete, die durch sowjetische Wirklichkeit verfälscht waren, und zu dem gleich in den ersten postsowjetischen Jahren die bis dahin tabuisierte christliche Sprache hinzukam: für die erneute Legitimation und ohne den Versuch, in die gefälschte Welt zurückzukehren. Der Text lässt uns über die kulturelle Isolation des postsowjetischen Georgiens, über den kulturellen Konflikt mit der zeitgenössischen freien Kulturwelt und natürlich über die Realität unverfälschter schöpferischer Versuche unter der Berücksichtigung der Möglichkeiten jedes Ergebnisses, jeder Niederlage und des Sieges nachdenken. Tbilissi, September 2016, Prof. Dr. Bela Tsipuria
Aktualisiert: 2023-05-30
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Elf Elegien

Elf Elegien von Nichita,  Stanescu, Schlesak,  Dieter
Nichita Stãnescu (1933-1983) war 1980 in der engeren Wahl für den Nobelpreis. Er ist einer der bedeutendsten rumänischen Dichter der Nachkriegszeit, der einen eigenen Ton in die europäische Lyrik der Gegenwart einbringt, doch blieb er im Vergleich zu seiner Bedeutung auch für die Weltlyrik als Dichter einer kleinen Sprache fast unbekannt. Stãnescu ist als Dichter in finsterer Zeit der roten Diktatur ein Pendant zu seinem Landsmann Paul Celan; Celan sublimierte das Trauma der Nazizeit zur abgründigen Metapoesie, Stãnescu das Trauma der Stalinzeit.
Aktualisiert: 2023-05-30
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Weitwinkel nah

Weitwinkel nah von Zeizinger,  Barbara
Barbara Zeizinger, *1949, studierte Germanistik, Geschichte und Italienisch in Mannheim und Frankfurt. Lebt in Darmstadt. Sie schreibt Lyrik, Prosa und Reiseberichte. Beteiligung an deutsch-polnischen Poesieprojekten. Regelmäßige Rezensionen für Fixpoetry, Redaktionsmitglied bei den Zeitschriften Bawülon und Matrix des Pop-Verlags. Mitarbeit beim jährlichen Internationalen Poesiefestival in Frankfurt am Main. Ihr Roman Am weißen Kanal wurde ins Italienische übersetzt. In Zusammenarbeit mit dem Darmstädter Komponisten Cord Meijering entstanden zwei Libretti, die an der Darmstädter Akademie für Tonkunst aufgeführt wurden. Mitautorin von Regionalführern des Darmstädter Weststadt-Verlags. Mitglied in der Darmstädter Textwerkstatt von Kurt Drawert und Martina Weber, der südhessischen Autorengruppe Poseidon, der Europäischen Autorenvereinigung Die Kogge, im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, im Exil-P.E.N. und der Internationalen Gruppe von Lyrikerinnen und Lyriker QuadArt. Mehrfache Stipendiatin des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Lieferbare Titel von Barbara Zeizinger: „Weitwinkel nah“. Gedichte. Pop Lyrik. 75 Seiten, 12,99 € ISBN 978-3-86356-057-7 „Am weißen Kanal“. Roman. Pop Epik. 218 Seiten, 15,50 € ISBN 978-3-86356-094-2 „Wenn ich geblieben wäre“. Gedichte. Pop Lyrik. 84 Seiten, 14,00 € ISBN: 978-3-86356-179-6
Aktualisiert: 2023-05-30
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Wenn ich geblieben wäre

Wenn ich geblieben wäre von Zeizinger,  Barbara
Barbara Zeizingers Gedichte „sind in ständiger Bewegung“, schrieb Astrid Nischkauer auf fixpoetry über den letzten Lyrikband der Autorin. Dies trifft auch für die neuen Gedichte zu. In ihnen spricht sie vom Weggehen, von nicht immer freiwilligen Abschieden und vom Ankommen, von einer Welt, in der man sich stets neu verorten muss. Sowohl bei Gedichten, in denen ein biografischer Hintergrund durchschimmert, als auch in solchen, die das lyrische Ich mit dem Fremden konfrontiert, immer eröffnet die Autorin in poetisch dichter Sprache unbekannte Räume. Trotz der von Empathie getragenen Grundhaltung der Gedichte verweigern sie einfache Antworten.
Aktualisiert: 2023-05-30
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Insel der Elefanten

Insel der Elefanten von Török,  Imre
Stimmen zu Werken des Autors Insel der Elefanten. Was für eine spannende und philosophisch angenehm herausfordernde Lektüre! Ein durch und durch mutiges, sich den Schmerzen des Verlustes stellendes Buch, mit zahllosen wunderschönen lyrischen Stellen. Man spürt das Meer und den Himmel in der Prosa. Unzählige Variationsmöglichkeiten, die im Thema Heimat und Heimatverlust verborgen liegen. Peter Blickle, Western Michigan University Der Schock der Entwurzelung, der Raub seiner Kindersprache machen ihn sensibel für eine Philosophie, die an Diogenes erinnert. Es gelingt ihm, Finger in die Wunden unseres irrsinnigen Lebens zu legen. Karin Schäckermann Ein Autor, der, wie man zu sagen pflegt, das Leben nicht nur aus Büchern kennt, der in den Texten aber immer wieder aus der kalten Realität in das Wünschen, Hoffen und Träumen, seine eigentliche Heimat, entwischt. Berndt Herrmann Von der ironischen Seite zeigt sich Imre Török, der als jugendlicher Flüchtling nach Deutschland kam und heute Bundesvorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller ist. Geistreich und treffsicher ist die Selbstreflexion eines Poeten: Im eleganten und rhythmisierten Sprachfluss spiegelt sich der Enthusiasmus, von dem er sich angesichts seiner erhabenen Visionen ergreifen lässt, um abschließend, ganz im Sinne romantischer Ironie, die selbstgeschaffenen Illusionen zu zerstören. Badische Zeitung Magische Wortspiele Für Imre Török hat Ingolstadt eine gewisse Bedeutung, hier hat ihn der Bundesverband der deutschen Schriftsteller zu seinem Vorsitzenden gewählt ... Töröks Texte lassen sich auf viele verschiedene Arten interpretieren. Meist rufen sie einen Strom von Assoziationen hervor. Als Vorleser kann sich Török sicher zu den besten dieses Fachs rechnen. Sobald er mit dem Lesen beginnt, stürzen die Worte nur so aus ihm heraus, seine Stimme, mit dem leichten ungarischen Akzent, macht die Erinnerungen an Ungarn und die besondere Poesie von Töröks "Akazienskizze" zu einem literarischen Ereignis. Jonathan Spanos (Donaukurier)
Aktualisiert: 2023-05-30
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Von der belebenden Wirkung des Verbrechens. Urlaubsgrüße aus dem wahren Leben.

Von der belebenden Wirkung des Verbrechens. Urlaubsgrüße aus dem wahren Leben. von Schau,  Albrecht
er vorliegende Roman, der in der Tradition des Dialogromans steht, stellt ein irrlichterndes Kaleidoskop turbulenter Dialoge dar, in denen sich die Dialogpartner gegenseitig zu überbieten suchen und sich dabei in die Haare geraten. Die Diskussionen werden abwechselnd fein-ironisch, ausgelassen-burlesk, grob-satirisch oder obszön geführt. Handgreiflichkeiten bleiben da nicht aus. Für Beruhigung und Abwechslung sorgen Erzähleinlagen à la Boccaccio sowie Crossover-Verfahren, die verschiedene Textsorten, Erzähl- und Sprechweisen kunstvoll miteinander verbinden. In diesem Tohubwabohu hat die Ernsthaftigkeit, wie man sich denken kann, einen schweren Stand. Zum Erzähl-Arrangement: Keuner, die bekannte Brecht-Figur lädt aus aktuellem Anlass zu einem Symposium ein, in dem über das Verbrechen, das Leben und den Zusammenhang von Gut und Böse nachgedacht und diskutiert werden soll. Der Einladung sind ruhmreiche Autoritäten aus der Geschichte sowie große und kleine Geister aus der Gegenwart gefolgt.
Aktualisiert: 2023-05-30
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