Koinzidenzen

Koinzidenzen von Fritsche,  István
Das hier zu Behandelnde wird sich jenem Teil des ungarischen Wortschatzes widmen, der sich phonetisch und semantisch lateinischen Wörtern angenähert hat, ohne dass es dafür eine hinreichende Erklärung gegeben hätte. Vorliegende Arbeit bewegt sich, wie alle hergebrachte Semantik und Etymologie, im Umfeld der geschriebenen Sprache. Auch die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, der ja auch unser Bemühen verpflichtet ist, richtete in der Vergangenheit ihren emsigen Fleiß auf ein Vokabular, das ihr ausschließlich in Schriftzeichen verfügbar war. Einige Gebrechen dieser Disziplin, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit erreichte, waren den damaligen Philologen ein Dorn im Auge, da ja bekanntlich alle Sprachen auf Sprachlauten basieren. Darum wurden damals auch viele Versuche unternommen, um den historischen Lautstand zu erstellen. Manchmal ging einer endgültigen Schlussfolgerung eine sehr lange Diskussion und Unsicherheit über die Aussprache eines bestimmten Schriftzeichens voran. Man denke zum Beispiel an die Aussprache des lateinischen c vor hohen Selbstlauten: Erst im 20. Jahrhundert rang sich die Erkenntnis durch, dass dieses bei den alten Römern eine Explosiva und keine Affrikata war. Jedoch nicht nur in der Glanzzeit des eigentlich doch buchstabenfrohen lautgeschichtlichen Denkens, sondern auch danach wurden Meinungen laut, die den Nachdruck auf die Lebendsprachler, dann auf die Eigenständigkeit der Sprache überhaupt legten. Strukturalisten und Sprachfilosofen meldeten sich im 20.Jahrhundert zum Wort. Es ist denn auch mit einer gewissen Verlegenheit, dass man sich auf längst breitgetretene Pfade und in allzu oft durchwatete Furten begeben muss, bestimmt nicht, um unsere linguistischen Ahnen zu bemängeln, sondern vielmehr auf ihren Einsichten und Ergebnissen stützend in neue Gefilde vozudringen. Es regt einen dazu an, dass nicht nur baltisch-skandinavische und ungarische Sprachforscher sich mit Clan- und Stammessprachen um den Ural befasst haben, dass eigentlich allgemeines Interesse besteht. Die Arbeit der ungarischen Lexikologen wird freilich in jeder Hinsicht am schwersten wiegen müssen. Vieles von dem, was uns heutzutage auffällt und leicht zu Fehlschlüssen und auf Irrwege führen könnte, haben sie ja schon hundertfach durchdacht, besprochen und entschieden. Wenn wir uns die Arbeit der ungarischen Etymologen der letzten hundertfünfzig Jahre ansehen, dann sind der Fleiß und die gewissenhafte Pünklichkeit derer erstaunlich, die sich der im Urwalde zwischen der Wolga und dem Jenissei befindlichen Idiome annahmen, sich auf kratzende, zischende uralte Grammophone stürzten, im Studium von Originalquellen jahrelang verharrten, die Literatur über inner- und außerhalb des Karpatenbeckens in Geschichte und Gegenwart vage herumirrende Wörter studierten. Aber nicht nur auf sie wird sich dieses Buch berufen müssen. Besonders wichtig sind aus unserer Sicht ferner die Etymologen der lateinischen Folgesprachen und diejenigen, die sich voller Hingabe oft in neben beruflicher Sisyphusarbeit um Alpenromanisches bemüht haben. Eine besondere Erwähnung verdienen die rumänischen Etymologen, die den Ursprüngen ihrer geschichtsschweren Muttersprache mit viel Eifer nachgegangen sind. Und dann die Forscher slawischer Idiome der Region, deren lateinische Lehnwörter wegen der mit dem Ungarischen über elfhundert Jahre dauernden Symbiose wichtige Hinweise liefern können. An letzter, gewiss nicht unwichtigster Stelle ist diese Arbeit den Erkenntnissen all derer verpflichtet, die sich eingehend mit dem Ungarischen beschäftigt haben, und ohne deren Ideen sie nicht möglich gewesen wäre. Unser Ziel wird u.a. sein zu beweisen, dass Deus-ex-machina Onomatopöie nicht den ausschließlichen Platz beim Zustandekommen unerklärbarer Wortbestände während der urungarischen Periode verdient. Wir unterstellen, dass Sprachgenese verwickelter ist, als sie sich mit logischem Herumfolgern auch nur annähernd beschreiben ließe.
Aktualisiert: 2019-12-12
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